Marianne Faithfull im Interview:"Ich habe keine Lust zu sterben"

Die Prinzessin der Rolling Stones spricht über ihre Zeit mit Mick Jagger und Keith Richards, über schlechten Sex - und über ihren neuen Film, in dem sie ausnahmsweise nicht blond ist.

Gabriela Herpell

Der Duft eines pudrigen, etwas süßlichen Parfums hängt in der Luft. Marianne Faithfull trägt an diesem Vormittag in Antwerpen ein transparentes, ärmelloses Top. Auf ihrem linken Oberarm klebt ein Pflaster, das sie mit der rechten Hand immer wieder andrückt. Dann streicht sie sich mit beiden Händen und großer, ausladender Geste die dichten, blonden Haare aus der Stirn.

Sie ist blass, ihre Haut wirkt angestrengt, aber ihre vollen Lippen lassen sie immer noch jung aussehen. Am Abend gibt sie ein Konzert. Dann wird sie ein schwarzes Babydoll-Kleid tragen, was etwas seltsam wirkt. Sie wird Tee mit Honig trinken und kokett sagen: "Früher waren es andere Substanzen." Nach einer schwierigen Anfangsphase wird sie ihren ersten Hit singen: "As Tears go by". Und man muss sagen, dass dieses Lied einen immer noch zu Tränen rührt.

sueddeutsche.de: Mrs. Faithfull, was haben Sie mit Ihrem Arm gemacht?

Marianne Faithfull: Ach das - das ist ein Nikotinpflaster.

sueddeutsche.de: Sie haben aufgehört zu rauchen?

Faithfull: Ich versuche es, und es gelingt mir ganz gut. Ich bin schon auf der niedrigsten Dosierung, die so ein Pflaster haben kann.

sueddeutsche.de: Haben Sie schon häufiger versucht aufzuhören?

Faithfull: Auf jede erdenkliche Art und Weise, ich habe mich sogar hypnotisieren lassen. Es hat nie funktioniert. Nun probiere ich das aus.

sueddeutsche.de: Ich kenne nur eine Person, bei der das Hypnotisieren geklappt hat. Und sie war eigentlich nur die Begleitung und hat gern geraucht. Bei ihrer Freundin, die wirklich aufhören wollte, hat es nicht geklappt.

Faithfull: Ich will ja auch nicht aufhören. Ich muss aufhören. Es ist verrückt, Sängerin zu sein - noch dazu in meinem Alter - und dabei zu rauchen.

sueddeutsche.de: Waren die Zigaretten das einzige verbliebene Laster?

(Schweigen)

sueddeutsche.de Rauchen Sie keine Einzige mehr?

Faithfull: Am Ende eines Tages, nach dem Konzert, wenn ich auf meinem Zimmer bin, abgeschminkt, gebadet - ich bade immer in Totem-Meer-Salz -, wenn ich dann also meinen schönen roten Seidenpyjama anhabe, dann rauche ich drei Zigaretten.

sueddeutsche.de: Sie wirken amüsiert. Freuen Sie sich den ganzen Tag auf diese drei Zigaretten?

Faithfull: Schon, irgendwie. Aber ich fange an, sie nicht mehr ganz so sehr zu genießen wie vorher. Ich fange an zu begreifen, wie absurd das ist.

sueddeutsche.de: Sie hatten letztes Jahr Krebs.

Faithfull: Aber ich hatte Glück. Man hat den Tumor sehr früh gefunden und mich schnell operiert.

sueddeutsche.de: Sie scheinen irgendwie immer wieder auf die Beine zu kommen.

Faithfull: Ich habe einfach keine Lust zu sterben.

sueddeutsche.de: Ihr Lebensstil hat manchmal einen ganz anderen Eindruck vermittelt. Sie waren schwer drogenabhängig. Als Sie sich mit Anfang Zwanzig von Mick Jagger trennten, wurden Sie zum obdachlosen Junkie in London.

"Ich habe keine Lust zu sterben"

Faithfull: Aber ich war nie richtig oder tief verzweifelt. Ich wollte alles ausprobieren. Und ich habe mich immer geweigert, zu bereuen und dann an die große Glocke zu hängen, dass ich geläutert bin. Ich bin nicht der Reue-Typ. Ich habe nur eines Tages erkannt, dass ich die Einzige von all meinen Freunden war, die noch Drogen nahm. Ich war vierzig Jahre alt, da hat es dann einfach gereicht.

sueddeutsche.de: Sie haben in den USA gelebt, als Sie 1985 Ihren erfolgreichen Drogenentzug machten. Nun ist Irland Ihre Heimat - wie kamen Sie dorthin?

Faithfull: Ich lebe in Irland und in Paris. Ende der 80er Jahre musste ich zurück nach Europa, weil meine Mutter sehr krank war und ich in ihrer Nähe sein wollte. Und eines stand fest: Dass ich auf keinen Fall nach England zurückkehre. Also war die Frage: Paris oder Irland. Ich habe mich aufgrund der Sprache für Irland entschieden. Es ist doch etwas anderes, in einem Land zu sein, in dem man jede Nuance der Sprache versteht. Man merkt erst, was man an der eigenen Sprache hat, wenn man sie eben nicht sprechen kann.

Aber mittlerweile pendele ich zwischen Paris und Irland, eine wunderbare Aufteilung. Paris ist so schick und elegant und cool, mir sind solche Dinge immer noch sehr wichtig. Ich gehe gern auf die Schauen oder in eine schöne Ausstellung. Ich wohne ganz in der Nähe vom Louvre und gehe oft hin, ich finde das wunderbar. Dublin ist das ganze Gegenteil von Paris. Dear old dirty old Dublin. Das ist eine andere Welt. Ich liebe mein irisches Leben, ich habe viele Freunde dort und finde das Land sehr schön. Die Menschen sind so authentisch.

sueddeutsche.de: Sie leben in Dublin? Ich hatte gehört, Sie würden in einem alten Farmhaus auf dem Land leben, das Shell Cottage heißt.

Faithfull: So war es auch. Aber das war mir zu einsam. Ich habe ja nicht mal einen Führerschein. Stellen Sie sich mal vor, wie das ist, ohne Führerschein auf dem Land zu leben. Wenn ich auf dem Land war, saß ich dort fest: war completely fucking stuck. Das war nun wirklich nichts für mich.

sueddeutsche.de: Mrs. Faithfull, im Juni kommt in Deutschland ein Film in die Kinos, "Irina Palm", in dem Sie die Hauptrolle spielen: eine wichsende Witwe, wie es in dem Film immer wieder so plakativ heißt.

Faitfull: Gott sei Dank: Sie sind der erste Journalist heute, der mich von selbst auf den Film anspricht. Ich habe schon gedacht, irgendetwas wäre schiefgelaufen. Die anderen musste ich dazu zwingen, über den Film zu sprechen. Als wäre er peinlich oder so.

sueddeutsche.de: Sie haben mit der Figur, die Sie da spielen, nicht viel gemeinsam.

Faithfull: Aber das ist wunderbar! Ich spiele doch! Ich habe nichts und überhaupt nichts mit Maggie gemeinsam, bis auf die Tatsache, dass ich auch einen Sohn und Enkelkinder habe. Maggies Enkel ist todkrank und nur eine Behandlung in Melbourne kann ihm helfen. Maggie versucht, Geld aufzutreiben. Da kommt sie an einem Schild vorbei: Hostess gesucht - tolle Bezahlung. Sie denkt, es geht um das Servieren von Getränken, aber geht um einen Handjob, und natürlich ist sie erst abgestoßen, aber dann nimmt sie das Angebot doch an - und das alles macht sie stark.

Einerseits bin ich natürlich froh, dass die Leute mich mit Maggie verwechseln, denn ich fasse es einfach als Kompliment auf: Dann muss ich ja einigermaßen überzeugend sein.

sueddeutsche.de: Und andererseits?

Faithfull: Andererseits kann ich es manchmal gar nicht glauben, wenn mich mal wieder jemand fragt, was mich mit Maggie verbinden würde. Dann denke ich: Kommt schon, seid doch mal ein kleines bisschen sophisticated. Es muss daran liegen, dass Journalisten keine Ahnung haben, wie so ein Film entsteht und was Schauspielerei eigentlich ist. Sie scheinen nicht zu wissen, wie viel Vorbereitung dazu gehört. Für Maggie habe ich mir die Haare braun gefärbt, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich musste mich gehenlassen und meine Eitelkeit vollkommen ausblenden. Wobei ich das erstaunlicherweise gar nicht so schwer fand.

sueddeutsche.de: Würden Sie sich als eitel bezeichnen?

Faithfull: Jeder ist eitel. Aber ich habe es genossen, nicht Marianne Faithfull zu sein und nicht wie ich selbst wirken zu müssen, sondern wie eine unscheinbare Hausfrau - in klobigen Stiefeln und spießigem Wintermantel.

sueddeutsche.de: Wie fanden Sie es eigentlich, nicht blond zu sein? Eine blonde Freundin, die sich die Haare mal dunkel hat färben lassen, fragte irgendwann alle Brünetten: Wie könnt ihr das nur aushalten? Sie sagte, sie würde mit braunen Haaren höchstens die Hälfte der Männerblicke ernten.

Faithfull: Wie grausam! Aber sie hat Recht: Man hat schon eine ganz andere Wirkung, wenn man als Frau braunes Haar hat. Es war übrigens meine Idee, dass Maggie dunkel sein musste. Wahrscheinlich, weil ich eine Blondine bin und immer war. Ich fand, Maggie durfte nicht attraktiv sein, also kein bisschen sexy. Obwohl sie ihre eigene seltsame Schönheit hat, auf den zweiten Blick. Ich jedenfalls fand es interessant, brünett zu sein. Ich konnte mal Kleider anziehen, die blonden Frauen nicht stehen. Aber ich muss zugeben - sobald der Film abgedreht war, war ich wieder blond.

sueddeutsche.de: Maggie verkörpert die stille, unterdrückte Vororthausfrau, damit kennen Sie sich doch gar nicht aus.

Faithfull: Sie ist eine Verwandte von Lucy Jordan, die so frustriert ist von ihrem langweiligen Leben als Frau und Mutter. Der Mann ist bei der Arbeit, die Kinder sind in der Schule, und sie begreift, dass sie niemals in einem weißen Sportwagen durch Paris fahren wird. Ich habe ein Herz für Frauen wie Maggie oder Lucy Jordan.

sueddeutsche.de: Lucy Jordan ist die Figur aus einem Ihrer bekanntesten Songs: "The Ballad of Lucy Jordan", von der Platte "Broken English", mit der Sie 1979 ein Riesen-Comeback hatten.

Faithfull: Genau. Und wissen Sie was? Ich bin sicher, dass Maggie mit Trevor - ihr verstorbener Mann hieß ja treffenderweise Trevor - nicht glücklich war. Niemand kann mit einem Mann namens Trevor glücklich sein. Niemand kann mit einem Trevor guten Sex haben. - Ist das jetzt oberflächlich? So bin ich manchmal. Ich finde es einfach so perfekt, dass ihr Mann Trevor hieß. Und dann denke ich immer wieder, dass ich viel Glück gehabt habe.

sueddeutsche.de: Und immer wieder interessant, dass Sie das so sagen. In Ihrer Autobiographie ist von einer Zeit die Rede, in der Sie sich nicht mehr ertragen konnten und mit einem Mann zusammen waren, den sie nicht mehr ertragen konnten. Sie waren fertig, sahen schrecklich aus, Sie wollten nicht mehr - und es kam zu einem Selbstmordversuch.

Faithfull: Aber ich wollte auch da nicht sterben. Ich fühlte, dass meine Zeit noch nicht gekommen war. Und ich lebe. Ich kann mich nicht beklagen.

sueddeutsche.de: Sind Sie eigentlich gern eine Frau?

"Ich habe keine Lust zu sterben"

Faithfull: Absolut.

sueddeutsche.de: Früher wollten Sie zu den Jungs gehören, einer von ihnen sein.

Faithfull: Das war ich doch, damals. Auch wenn die Jungs das nicht so gesehen haben. Aber ich habe mich so gefühlt. Ich habe mit ihnen herumgehangen, Partys gefeiert, Drogen genommen, ich habe alles genauso wie die Jungs gemacht. Und ja, ich wollte zu ihnen gehören, es ihnen gleichtun. Ich habe mich damals gefühlt wie ein tomboy: ein burschikoses Mädchen.

sueddeutsche.de: Dabei waren Sie so hübsch wie Brigitte Bardot. Jeder Junge wollte mit Ihnen ins Bett gehen.

Faithfull: Das meine ich: Die Jungs haben mich anders gesehen als ich mich. Wenn man jung ist, weiß man gar nicht viel über die eigene Attraktivität. Man weiß nicht, wie man wirkt.

sueddeutsche.de: Sie schreiben, dass es hart für eine Frau im Musikgeschäft war, viel härter als für die Jungs.

Faithfull: Man musste immer einen guten Typen an seiner Seite haben, um ernst genommen zu werden. Da waren Mick und Keith und die anderen alle, und ich wurde nur wahrgenommen, weil ich mit ihnen zu tun hatte. Auch das haben Mick und Keith nicht so gesehen, aber mir war das immer klar. Das war so in den 60er Jahren. Und was man mir da zugemutet hat. Ich musste immerzu touren, mit 17 Jahren und einem Hit, ich war immer allein unter fremden Menschen, jede Nacht im Bus, monatelang. Ich war total überfordert, viel zu jung und viel zu einsam.

sueddeutsche.de: Ist es heute nicht mehr so schwer in dem Geschäft als Frau?

Faithfull: Ich glaube nicht. Ich sehe an Freundinnen wie Polly (PJ Harvey, Anm. d. Red.), dass es nicht mehr so ist wie damals. Die Leute behandeln Musikerinnen heute anders als in den Sechzigern. Mit mehr Respekt. Mit mehr Verständnis.

sueddeutsche.de: Was hat sich noch zum Besseren gewandelt für Frauen?

Faithfull: Nicht viel. Oder sagen wir so: Es hat sich einiges verbessert, aber lange nicht so viel, wie wir uns erhofft hatten.

sueddeutsche.de: Sie haben in den 60er und 70er Jahren die Idee der freien Liebe gelebt.

Faithfull: Ja, das war eine große Sache. Wobei sie für mich nie funktioniert hat, die freie Liebe. Ich bin sehr eifersüchtig.

sueddeutsche.de: Sie hatten aber selbst viele Affären und One-Night-Stands.

Faithfull: So viele waren es auch wieder nicht. Es ist nicht so, als ob mein ganzes Leben aus One-Night-Stands bestanden hätte. Aber ich habe vielleicht heute noch gelegentlich einen. Ist daran irgendwas verkehrt?

sueddeutsche.de: Das wollte ich nicht sagen. Ihr Leben damals klingt halt nur nicht so nach Eifersucht und Besitzansprüchen.

Faithfull: Man hatte damals Affären und wollte damit zurechtkommen. Besitzansprüche waren nicht zeitgemäß.

sueddeutsche.de: Aber Sie haben geheiratet, schon mit 17 Jahren.

Faithfull: Die Ehe ist allerdings überhaupt keine gute Idee für mich. Das funktioniert erst recht nicht. Die Ehe ist so vollkommen unromantisch. Ich liebe einen Mann, und wenn ich ihn heirate, höre ich auf, ihn zu lieben. Weil ich ihn lieben muss. Ich möchte gern die Wahl haben.

sueddeutsche.de: Sie haben allerdings mehrmals geheiratet.

Faithfull: Ich habe keine Ahnung, warum ich das getan habe. Ja, ich habe dreimal geheiratet. Und es ist immer dasselbe passiert. Es ist nicht nur mir so gegangen, den Männern ist es genauso gegangen. Ich scheine mir Männer gesucht zu haben, für die die Ehe ebenfalls keine gute Idee war. Dabei habe ich Freunde, die verheiratet sind und glücklich dabei und das ganz wunderschön hinkriegen miteinander. Es hängt vom Wesen der Menschen ab. Aber erstmal sieht es für jeden aus wie eine schöne Sache, zu heiraten, wenn man jemanden liebt und mit ihm zusammen sein will. Ich habe nach wie vor nichts gegen die Theorie oder das Konzept oder das Prinzip, und ich wünsche allen, die heiraten, viel Glück. Aber zwischen mir und der Ehe ist es aus.

sueddeutsche.de: Sie waren eine sehr junge Mutter. Haben Sie sich damals auf das Kind gefreut?

Faithfull: Nein, natürlich nicht. Es war ein Unfall. Und - da sind wir schon wieder bei der Ehe - 1964 musste man heiraten, wenn man schwanger war. Aber im Rückblick bin ich sehr froh, dass ich meinen Sohn Nicholas damals bekommen habe, denn ich hätte nie wieder ein Kind bekommen.

sueddeutsche.de: Wegen Ihres ausschweifenden Lebens?

Faithfull: Wegen meines ausschweifenden Lebens, wenn Sie so wollen. Und wegen meiner Arbeit. Erst die Kunst, dann die Kinder.

sueddeutsche.de: Künstler, haben Sie geschrieben, werden niemals erwachsen.

Faithfull: Das ist das Wunderbare daran, Künstler zu sein: Deine Arbeit ist dein Spiel. Du machst nichts lieber als deine Arbeit, so wie Kinder nichts lieber tun als zu spielen.

sueddeutsche.de: Mrs. Faithfull, Ihr Name bedeutet: treu. Ist es eine schwierige Aufgabe, diesem Namen gerecht zu werden?

Faithfull: Ich bin damit geboren. Es ist kein Künstlername. Und ich habe nie darüber nachgedacht, bis Andrew Loog Oldham (der Entdecker der Rolling Stones, Anm. d. Red.) mich entdeckte und gar nicht glauben konnte, dass ich so einen Namen einfach mitbringe.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: