Berlin: Mapplethorpe-Ausstellung:In Fleisch gegossen

Rasierte Schädel, Brustwarzen, Adoniskörper: In Robert Mapplethorpes Fotos werden Menschen zu perfekt arrangierten Formen. Was in den achtziger Jahren für Skandale sorgte, zeigt nun eine umfassende Schau in Berlin.

Laura Weissmüller

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Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Rasierte Schädel, Brustwarzen, Adoniskörper: In Robert Mapplethorpes Fotos werden Menschen zu perfekt arrangierten Formen. Was in den achtziger Jahren für Skandale sorgte, zeigt nun eine umfassende Schau in Berlin. Die Bilder.

Der Schweißtropfen hat ihn verraten. Ansonsten hätte man den schwarzen Adonis, der sich da in einer weißen Röhre unter vollster Körperspannung wie ein Kreisel eindreht, glatt für eine Skulptur gehalten. So scharf zeichnet das Licht seine einzelnen Muskelpartien, seine Adern und Sehnen unter der Haut nach, wie in Stein gemeißelt. Doch auf der Backe zeigt sich die Anstrengung, die Skulptur schwitzt, der perfekt ausgeleuchtete Körper wird schlagartig zum Menschen.

Text: Laura Weissmüller/SZ vom 2.2.2011/tolu/rus

Im Bild: Dennis Speight, 1983

Alle Bilder: © Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Robert Mapplethorpe, dessen Werk jetzt das Fotohaus c/o Berlin in einer umfassenden Retrospektive mit knapp 200 Arbeiten zeigt, hat sich nicht sonderlich für die Menschen interessiert, die er vor der Kamera hatte, zumindest nicht für ihre Person. Genauso wie er eine Verortung unmöglich machte, indem er nur vor schwarzem oder weißem Hintergrund fotografierte, versuchte er das Menschliche aus seinen Modellen zu tilgen. Ihre Körper werden bei ihm zu perfekt arrangierten Linien und Formen. Einzelne Teile, glatt rasierte Schädel, Brustwarzen, der Anus erscheinen losgelöst von ihrem Besitzer und lassen sich für den Betrachter nicht mehr zu einer Figur, einem Menschen zusammensetzen. In Fleisch gegossene Geometrie sozusagen.

Im Bild: Phillip Prioleau, 1980

Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Insofern passt just zu Robert Mapplethorpe das Zitat von Susan Sontag, das die Körperstudien in der Ausstellung begleitet, gerade nicht, wenn es da heißt: "Jede Fotografie ist eine Art memento mori. Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletzlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen (und Dinge). Eben dadurch, dass sie einen Moment herausgreifen und erstarren lassen, bezeugen alle Fotografien das unerbittliche Verfließen von Zeit." Nur: Mapplethorpe verbietet seinen Aufnahmen jedes Momenthafte, seine antiseptischen Inszenierungen versuchen alle Natürlichkeit aus dem Bild zu verbannen, was nicht zuletzt an Arbeiten von der Fotografin Leni Riefenstahl denken lässt. Egal ob der amerikanische Fotokünstler die Blüte der Calla oder einen erigierten Penis im kalten Studiolicht inszeniert: Bei Robert Mapplethorpe hat das Leben keinen Platz - und damit auch nicht die Vergänglichkeit.

Im Bild: Alistair Butler, 1980

Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Die Berliner Ausstellung, die sich vor allem aus dem Bestand der New Yorker Mapplethorpe Foundation bestückt, kann sich auf die Arbeit des Fotografen konzentrieren. Die Jahre, in denen Mapplethorpe mit seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von abgeschnürten Geschlechtsteilen und homoerotischen Sado-Maso-Szenen vor allem in Amerika noch für handfeste Skandale sorgte, Museumsdirektoren Gerichtsverfahren einhandelte und Ausstellungen kurzerhand wieder abgesagt wurden, weil die Häuser um ihre staatlichen Mittel fürchteten, sind lange vorbei. Und auch die Zeit, als Robert Mapplethorpe für das breite Publikum anscheinend nur in der Verbindung mit kunsthistorisch sicher anerkannten Positionen ausstellungswürdig erschien und deswegen mit Michelangelo Buonarotti oder Druckgrafik des späten 16. Jahrhunderts konkurrieren musste, gehört der Vergangenheit an.

Ein Glück, denn selten wurde das System Robert Mapplethorpe so deutlich wie hier. Die Koordinaten dafür waren im Grunde schon von dem Zeitpunkt an klar, als Mapplethorpe zum ersten Mal eine Kamera in die Hand nahm: schöne junge Männer, die ihre Adoniskörper in skulpturale Position bringen, Sado-Maso-Szenen aus direkter Nähe, Porträts von exzentrischen Persönlichkeiten und schließlich Rollenstudien von sich und seinem künstlerischen Spiegelbild, der Sängerin Patti Smith.

Im Bild: Self Portrait, 1975

Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Schon mit den ersten Fotografien, Polaroids von Anfang der siebziger Jahre, mit denen die Berliner Schau eröffnet, hatte Robert Mapplethorpe sich so bereits seinen kompletten Motivschatz erarbeitet. Mehr brauchte der Fotokünstler auch in den kommenden zwei Jahrzehnten fast nicht, schließlich ging es ihm nicht um Abwechslung, sondern um die perfekte Inszenierung. Vor und hinter der Kamera.

Sein Vorbild dabei war klar: Andy Warhol. Ihn, den er viele Jahre später 1986 als Heiligen mit einer Aureole in Szene setzen sollte, nahm er als Maßstab. Der Junge aus einfachen Verhältnissen, Jahrgang 1946, mit fünf Geschwistern und einer katholischen Erziehung, wollte so berühmt werden wie der Künstlerfürst, inklusive Hofschar, die sich zwangsläufig daraus ergibt. An Mapplethorpes Seite dabei anfangs immer Patti Smith. Sie kannten sich, da war er noch nicht Fotograf und sie keine Sängerin. Nur der Wunsch, die New Yorker Szene zu erobern, muss damals schon bei beiden ausgeprägt gewesen sein. "Ihre Kinder", wie sie die eigene Kunst nannten, harrten jedoch noch der Entdeckung.

Die Nähe zu Patti Smith, die erst seine Geliebte und dann, nach seinem Coming-out, seine Lebensfreundin wurde, ist den großartigen Porträts der "Godmother of Punk" anzumerken. Als junge Frau blickt sie, ihre dunklen Haare so offen wie das schwarze zerrissene Seidenhemd, in seine Kamera und schneidet sich ihre lange Mähne, als wäre ihr Gegenüber ein Spiegel. Ein wenig muss er das wohl auch gewesen sein. Denn - so schrieb es zumindest die Sängerin in ihren im vergangenen Jahr veröffentlichten Erinnerungen an Mapplethorpe - erst er soll Smith zum Singen gebracht haben und sie ihn wiederum zum Fotografieren. "Ich war Roberts erstes Modell, sein zweites war er selbst", zitiert die Ausstellung Patti Smith. Ihr Rollenrepertoire kennt dabei keine Grenzen, von der ephemeren Nymphe im weißen Nachthemd 1978 bis zur theatralisch leidenden Maria-Pose in der Aufnahme von 1985 ist alles dabei.

Im Bild: Patti Smith, 1975

Robert Mapplethorpe

Quelle: Robert Mapplethorpe Foundation. Used by permission

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Das übertrifft nur noch Robert Mapplethorpe. Er gestaltet seine Selbstporträts als fantasievolle Kostümproben, mit einem schier unendlichen Fundus gespeist aus der Subkultur seiner Zeit. Genau das unterscheidet ihn auch von einer Fotografin wie Nan Goldin: Porträtiert diese die New Yorker Undergroundszene, die Schwulen und Transvestiten in ihren Clubs und Darkrooms, indem sie als Teil von ihnen aus nächster Nähe abdrückt - ohne extra Make-up und Studiolicht - setzt Mapplethorpe die Insignien seiner Umgebung klar ausgeleuchtet in Szene. Obwohl er seine Motive in Blackbox oder Whitecube stellt, sind seine Arbeiten so immer klar datierbar - genauso wie das Inszenieren seiner Person.

Die eigene Künstlerfigur entwirft Robert Mapplethorpe nämlich exakt abgestimmt auf den Zeitgeist. Die Rolle als sadomasochistischer Teufel in schwarzem Lederbeinkleid und langem Peitschenscheif, der direkt aus seinem Anus ragt, ist da nur eine von vielen. Mal fotografiert er sich als Transvestit mit mächtiger Pelzstola, langen Wimpern und vollen Lippen, dann als James Dean-Verschnitt mit Zigarette im Mundwinkel und hochgegelter Haartolle, schließlich als der Tod selbst: Ein Jahr bevor er an Aids stirbt, streckt er dem Betrachter auf der Aufnahme einen Spazierstock entgegen, dessen Knauf einen Totenkopf darstellt. Der Schädel ragt in seiner Schärfe fast aus dem Bild heraus, genauso wie der feste Griff der Hand, mit der Mapplethorpe den Stab umklammert hält. Sein Körper dagegen hat sich schon völlig im schwarzen Hintergrund aufgelöst, nur noch das Gesicht ist in der vermeintlichen Ferne zu sehen, aber auch dessen Konturen verlieren sich langsam in Unschärfe.

Der letzte Raum der Berliner Ausstellung ist den Porträts der New Yorker Kulturprominenz gewidmet. Louise Bourgeois mit überdimensionalem Penis unterm Arm ist da zu sehen, genauso wie Grace Jones im Draht-BH und Ganzkörperbemalung, Robert Rauschenberg in seinem Atelier, Isabella Rossellini, Donald Sutherland, Philip Glass... Mapplethorpe hatte sie alle vor der Kamera - und er hat sie zu seiner Hofschar gemacht.

Im Bild: Cedric, 1977

"Robert Mapplethorpe. Retrospektive", bis 27. März, c/o Berlin, zur Ausstellung erscheint ein Katalog. Infos unter www.co-berlin.com

© SZ vom 02.02.2011/sueddeutsche.de/tolu/rus
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