Manfred Eicher und "Edition of Contemporary Music":"Was für Ohren!"

Mit seinem Label "Edition of Contemporary Music" brachte Manfred Eicher Schönheit und Sorgfalt in die Welt. Der 69-Jährige schuf einen so unverwechselbaren und guten Stil, dass das Münchner Haus der Kunst dem Label nun eine eigene Ausstellung widmet.

Alex Rühle

Ausstellung 'ECM - Eine kulturelle Archälogie'

Manfred Eichers Plattenlabel Edition of Contemporary Music ist eines der wichtigsten Label für improvisierte und freie Musik.

(Foto: dpa)

Vor einigen Jahren, bei einem Besuch bei Keith Jarrett, in den Wäldern von New Jersey. Der Pianist saß in seinem Übungsraum, an den Wänden hingen Plattencover mit seinen Aufnahmen, der selbst ja nicht gerade unkomplizierte Jarrett ließ den Blick darüberschweifen und seufzte: "Oh, Manfred . . . Manfred - der kann so nerven. Was für ein Dickkopf. Und was für Ohren!" Gemeint war Manfred Eicher, der Geschäftsführer und Kopf des Plattenlabels ECM, der die meisten Aufnahmen des Jazzpianisten produziert hat. Jarrett schob hinterher, er meine das als Kompliment, vor allem das mit dem Dickkopf, Ohren habe er schließlich selber.

Alles fing damit an, dass Manfred Eicher selbst genervt war: Der studierte Kontrabassist, der eine Stelle bei den Berliner Philharmonikern ergattert hatte, ärgerte sich beim Hören der großen Jazzplatten darüber, wie wenig Sorgfalt im Gegensatz zur Klassik zumeist auf die Aufnahmetechnik verwendet wurde. Ende der Sechzigerjahre war das, damals, als der Graben zwischen E- und U-Musik noch tief wie der Grand Canyon war.

Dank Eichers Label sind Schönheit und Sorgfalt in der Welt

Nachdem ihm ein Freund 16.000 Mark vorgestreckt hatte, konnte Eicher unter Beweis stellen, dass das auch anders geht: Im Jahr 1969 gründete er sein Label ECM, Edition of Contemporary Music. Seither sind Schönheit und Sorgfalt in der Welt. ECM wurde zum wichtigsten Label für improvisierte, freie Musik und zur Heimstatt von Künstlern wie Chick Corea und Dino Saluzzi. Heute sagt jeder, klar, Keith Jarrett, 1975 aber gehörte Mut dazu, ein zweistündiges improvisiertes Konzert auf einem ollen Flügel auf Platte zu pressen und unter dem kargen Titel "Köln Concert" zu verkaufen.

Im Jahr 1984 erweiterte Eicher das ECM-Programm um die "New Series" mit komponierter Musik, die vom Mittelalter bis zur Gegenwart reicht. Auslöser dafür war eine lange nächtliche Autofahrt, während der er im Radio die Uraufführung von Arvo Pärts "Tabula Rasa" in Tallinn hörte. Auch da sagt heute jeder Musikinteressierte, na klar, Arvo Pärt. Seinerzeit aber rief der Geiger Gidon Kremer, als er die Partitur sah, wo denn da bitte die Musik sei, so karg war die Notation, so fremd klang das. Daneben entstanden, mit András Schiff etwa, einige der strengsten Aufnahmen klassischer Musik überhaupt.

Eicher brachte Jazz mit Alter Musik mit Geistlicher Musik zusammen, er hatte beispielsweise die Idee dazu, die schwebende Gregorianik des Hilliard Ensembles und die weichen Sololäufe des norwegischer Saxofonisten Jan Garbarek miteinander zu verbinden. Gewiss wurde im Lauf der Jahrzehnte auf einigen CDs Tief- mit Trübsinn verwechselt. Aber es ist doch beeindruckend, wie der 69-jährige Eicher, der sich nie um ein populäres Programm scherte, es dennoch schaffte, mit ECM einen derart eigenen, unverwechselbaren und auch erfolgreichen Stil zu entwickeln. So gut, dass das Münchner Haus der Kunst Eichers Label nun eine eigene Ausstellung widmet.

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