Malerei:Aus Violett wurde Hellblau

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Was waren die Urfarben von van Goghs "Schlafzimmer"? In Chicago hat man die ursprüngliche Farbe rekonstruiert.

Von Kia Vahland

Konturen bleiben auf Gemälden Konturen, auch nach Hunderten Jahren noch. Man kann darüber streiten, ob sie später einmal von einem Restaurator verändert wurden, oder ob der Künstler sie einst in einer Unterzeichnung anders angelegt hatte und sich dann dagegen entschied. Im Übrigen aber wirken Umrisse und Kompositionen heute immer noch so wie zur Entstehungszeit eines alten Gemäldes.

Ganz anders ist das mit Farben. Ihre Wahrnehmung ist lichtabhängig und immer auch ein wenig subjektiv, schlimmer noch: Pigmente altern und mutieren. Das Smalteblau etwa, das Caspar David Friedrich auf frühen Gemälden einsetzte, ist in einigen Werken grau nachgedunkelt und macht die Stücke heute trüber, als der Maler es ahnen konnte. Von Farbwechseln betroffen sind gerade jene Altmeister, die in ihren Mixturen besonders waghalsige Experimente eingingen - Überzeugungstäter also, die meinten, nicht die Kontur, sondern die Farbwahl sei das entscheidende gestalterische Mittel in der Kunst.

Besonders schwärmerisch - und besonders wegweisend - setzte Vincent van Gogh (1853 - 1890) seine Palette ein. Jede Nuance zählte für ihn, wenn er ein Ährenfeld rot schimmern ließ oder einen Strohhut in sattes gelbes Licht tauchte. Die traditionellen Farbrezepte genügten ihm nicht, also griff er nach allem, was der Markt an Chemikalien hergab. Als er 1888 in Arles sein Schlafzimmer malte, waren drei Viertel seiner verwendeten Pigmente in der Malerei noch nicht bewährt. Stolz beschrieb er in einem Brief an seinen Bruder Theo die Farben, die er für das Gemälde gewählt hatte: Die Wände seien violett.

Violett aber sind sie für das heutige Publikum nicht, sondern hellblau. Und dieser Eindruck trügt, wie nun Restauratoren des Art Institute of Chicago nachgewiesen haben. Das Museum stellt gerade alle drei Fassungen des Schlafzimmers von Arles aus, außer der eigenen auch die aus Amsterdam und Paris (bis 10. Mai, Info: www.artic.edu). Die Kunsttechnologen haben eine Probe genommen, die bei näherem Hinsehen Spuren von Karminrot enthielt. Dieses hatte van Gogh mit dem Blau zu Lila vermischt, doch war dieser Farbton nicht für die Ewigkeit gemacht - und verwandelte sich in Himmelblau. Die Chefkonservatorin des Museums, Francesca Casadio, präsentierte die Ergebnisse nun auf der Wissenschaftskonferenz der American Association for the Advancement of Science in Washington. Weitere Forschung zu van Goghs Farben sei nötig, weil der Künstler mit seiner Farbwahl die Stimmung festgelegt habe, die er wiedergeben wollte.

Dafür spricht, dass der Raum in Arles in den Jahren 1888 und 1889, als die drei Bilder entstanden, weder lila noch hellblau gestrichen war, sondern nüchtern weiß. Das aber hätte mit den gelben Möbeln nicht das emotionale Spannungsfeld ergeben, welches die Gemälde auszeichnet.

Das Museum aus Chicago bietet als Marketingmaßnahme Airbnb-Übernachtungen in einem Nachbau des Zimmers an. Sie sind bereits ausgebucht. Die Wände allerdings sind eher blau gestrichen. Van Goghs ästhetischem Empfinden hätte das wohl nicht genügt.

© SZ vom 16.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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