"Makers" von Chris Anderson:Eine neue Kultur des Selbermachens

"Makers von Chris Anderson - besprochen vom SZ-Lesesalon

Die etwas andere Buchbesprechung: "Makers" von Chris Anderson wurde kollaborativ bearbeitet.

(Foto: SZ)

In einem Experiment der "Süddeutschen Zeitung" haben 100 Leser gemeinsam das Buch "Makers" besprochen. Dass es geglückt ist, spricht für Chris Andersons Do-it-yourself-These. Auch wenn der Autor größtenteils Behauptungen aufstellt.

Von Dirk von Gehlen, mit der Unterstützung von 100 SZ-Lesern

Der zentrale Satz, an dem man das Buch "Makers", die darin beschriebene durch 3-D-Druck inspirierte Heimwerkerkultur und das Experiment des "Süddeutsche Zeitung Lesesalon" beschreiben kann, steht auf Seite 83. Chris Anderson, Buchautor und seit 2012 Besitzer der 3-D-Druckfirma 3D Robotics, schreibt ihn im Anschluss an ein Zitat, das erläutern soll, wie sich die Interessen in der Bevölkerung infolge von technischen Erfindungen verändern: "Außerdem schätzen Kunden Produkte eher mehr, die ihnen das Gefühl geben, an der Entstehung beteiligt gewesen zu sein, egal, ob sie dafür einen Bausatz zusammengebaut oder die Entwickler nur online ermutigt haben."

Der Satz ist deshalb bedeutsam, weil er auch auf die 100 Leserinnen und Leser zutrifft, die in den vergangenen Wochen das Buch im "Süddeutsche Zeitung Lesesalon" gelesen haben. Aus 300 Bewerbungen waren sie ausgelost worden, mit Hilfe der in Berlin entwickelten Software DBOOK daran teilzunehmen, wie diese Besprechung zustande kam: Sie arbeiteten also am Bausatz der Kritik mit. Sie markierten, diskutierten und analysierten die Thesen des Buches - weil sie darin einen Wert sehen, der über das Endprodukt hinausgeht. Wie in einem klassischen Salon machten sie aus der Lektüre ein Gemeinschaftserlebnis, das in einem virtuellen Treffen gipfelte, zu dem zahlreiche Leser gleichzeitig in das Dokument ins Netz kamen und sich austauschten.

Auf sehr hohem Niveau und in stets sachlichem Ton diskutierten sie - kritischer als diese Besprechung es vermuten lässt - die Ansätze von Chris Anderson, der bis vor Kurzem Chefredakteur der US-Ausgabe von Wired war und so sehr vom 3-D-Fieber gepackt wurde, dass er seinen Job gegen die Leitung der Firma 3D Robotic tauschte. Er ist überzeugt von der Makers-Kultur und keineswegs überrascht, dass Experimente wie der "Süddeutsche Zeitung Lesesalon" glücken.

Die nächste industrielle Revolution steht bevor

Anderson glaubt daran, dass der so genannte Ikea-Effekt, auf den sich der obige Satz bezieht, und die damit beschriebene Kultur des Selbermachens in Zukunft in zahlreichen Branchen greifen. Das schwedische Möbelhaus setzte der Idee von fertigen Tischen und Schränken einen Bauplan zum Selbermachen und den silbernen Standard-Inbusschlüssel entgegen, den mittlerweile selbst völlig bastelfremde Menschen besitzen. Geht es nach Chris Anderson werden in Zukunft sogar in deren Haushalten winzige Minifabriken stehen, die heutigen Papierdruckern ähneln und in der Lage sind, greifbare Gegenstände zu bauen: entweder durch die sogenannte additive Technik des 3-D-Drucks, bei der Schicht für Schicht Material aufgebaut wird oder subtraktiv wie bei CNC-Routern und -Fräsen, die Material wegschneiden und schleifen.

Beide Verfahren führen - so der Grundgedanke von "Makers" - zu einer neuen Kultur des Selbermachens - und langfristig zur "nächsten industriellen Revolution", so der Untertitel des Buches, das bei Hanser vor einiger Zeit auf Deutsch erschienen ist; mit dem englischen Titel: "Makers - Das Internet der Dinge: die nächste industrielle Revolution". Denn eine gute Übersetzung für die Maker-Kultur lässt sich kaum finden - auch das ein Ergebnis aus dem Lesesalon.

Anderson als Nutznießer der Veränderung

Abschließend ist Andersons These aus dem zentralen Satz von Seite 83 ist auch inhaltlich ein Beleg für die Art und Weise, wie "Makers" geschrieben ist: Es geht um Thesen, nicht um Belege - wie in dem zitierten Fall der Behauptung vom wachsenden Wunsch, an der Produktentstehung beteiligt zu sein. Ein Beleg für diese Beobachtung fehlt. Leider, denn natürlich könnte man auch sagen, dass extrem populäre Produkte wie Smartphones sich gerade nicht dadurch auszeichnen, dass der Käufer an ihrer Entstehung beteiligt ist. Womöglich würden viele sogar auf den Kauf der Telefoncomputer verzichten, wenn sie wüssten, unter welchen Bedingungen sie entstehen. Aber auf derlei Kontroversen will Anderson sich gar nicht einlassen, er will Bewegungen beschreiben - und im besten Fall auch erzeugen.

Anderson ist nicht der Beobachter, der analysiert, wie neue Technologien die Gesellschaft verändern: Er ist Antreiber und Nutznießer der Veränderungen und will seine Leser dafür begeistern. Dieser Wunsch, die Makers-Bewegung zu beschreiben, geht häufig auf Kosten der Genauigkeit. Das Internet der Dinge - das titelgebende Schlagwort der Stunde, das die Verbindung von Gegenständen über Sensoren und Sender beschreibt - wird erst definiert, nachdem Anderson seine Begeisterung dafür formuliert hat.

3-D-Drucker könnten die Welt verändern

Deshalb wirkt diese Begeisterung anfangs weniger ansteckend, als vom Autor vermutlich gewünscht. Nur wer sich bis zum zweiten Teil vorkämpft, beginnt zu ahnen, warum Anderson sich so sehr für den Wandel ereifert. Denn selbst wenn nur die Hälfte von Andersons Begeisterung stimmt, deutet sich hier eine tief greifende Veränderung im Umgang mit Produkten an: 3-D-Drucker könnten die Welt so verändern, wie es den Papierdruckern geglückt ist.

Und diese Veränderung - das belegt auch das Experiment im "Süddeutsche Zeitung Lesesalon" - beschränkt sich nicht auf die Welt der Bastler und Maker, die sich zum Beispiel Anfang November auf der Makers-Munich-Messe in München trafen. Der Wandel zeigt sich auch daran, dass Menschen sich nicht nur dafür interessieren, sondern auch sehr inspirierend daran beteiligen, wie eine Buchkritik entsteht. Belege dafür kann man auf sz.de/thema/lesesalon nachlesen, wo die besten Kurzkritiken der Teilnehmer nachzulesen sind.

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