Mahnmal für verfolgte Homosexuelle:Küssende Jungs

Es ist ein großer Fortschritt, dass es dieses Denkmal gibt, und zugleich ist es schade, wie wenig es berührt. Zur Einweihung des Mahnmals für die vom Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin.

Jens Bisky

Der Elsässer Pierre Seel war 17, als ihn die Gestapo wegen seiner Homosexualität verhaftete. Im Konzentrationslager musste er der Hinrichtung seines Freundes zuschauen. Die Häftlinge waren angetreten, es lief Musik. Man entkleidete den jungen Mann, stülpte ihm einen Eimer über den Kopf. Dann hetzte die SS Schäferhunde auf ihn, die ihn zu Tode bissen und zerrissen.

Mahnmal für verfolgte Homosexuelle: Küssende Jungs in gebügelten Hemden - 2010 sollen hier Frauen zu sehen sein.

Küssende Jungs in gebügelten Hemden - 2010 sollen hier Frauen zu sehen sein.

(Foto: Foto: dpa)

Pierre Seel überlebte das Lager, den Krieg, Gefangenschaft, die langen Jahre des Versteckens im Nachkriegsfrankreich. Erst in den achtziger Jahren erzählte er von seiner Verfolgung, forderte Anerkennung und Entschädigung für die schwulen Opfer der Nationalsozialisten. Im November 2005 ist er gestorben, und so konnte er nicht dabei sein, als am Dienstag in Berlin das nationale Denkmal für die verfolgten Homosexuellen eingeweiht wurde. Dem Lesben- und Schwulenverband ist kein Überlebender mehr bekannt. So erinnerte dessen Vorsitzer Günter Dworek in einer so selbstbewussten wie floskelfreien und angemessen bewegenden Rede stellvertretend für Zehntausende an Seel.

Verschwiegen, verachtet

Vor dreißig Jahren hätte es wohl kaum einer für möglich gehalten, dass eines Tages ein CDU-Minister in der Mitte der Hauptstadt einen nationalen Gedenkort für die verfolgten Schwulen eröffnen würde. Sie waren verschwiegene, verachtete Opfer.

Die NS- Fassung des Paragrafen 175 galt in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1969. Mehr als 50000 Schwule wurden im Dritten Reich verurteilt, etwa 10000 kamen ins KZ und standen als Häftlinge mit dem rosa Winkel auf der untersten Stufe der Lagerhierarchie. Manche mussten nach der Befreiung ihre Reststrafe absitzen. Andere wurden wiederholt verhaftet und im Namen des "sittlichen Volksempfindens" vor Gericht gestellt.

Streit hat es um diese Opfer immer gegeben, schien doch Homophobie ein naturgegebener Teil unserer Kultur. Es ist ein zivilisatorischer Fortschritt, dass dieses Denkmal nun in Berlin steht, und einen Fortschritt wird man es auch nennen müssen, dass der Kulturstaatsminister Bernd Neumann den Initiatoren dankte.

Als der Bau des Denkmals 2003 im Bundestag beschlossen wurde, hatte die CDU dagegen gestimmt. Ohne die Zähigkeit der Initiative "Der homosexuellen NS-Opfer gedenken" (www.gedenkort.de) wäre es wohl bei kleineren Gedenktafeln geblieben.

Den künstlerischen Wettbewerb, der im ganzen arm an überzeugenden Entwürfen war, gewannen Ingar Dragset und Michael Elmgreen. Was sie tun, firmiert unter dem Label "Appropriatiopn art". Es geht um die Aneignung fremder Formen. Also haben sie gleichsam eine Stele von Peter Eisenmans Mahnmal für die ermordeten Juden gekapert und für ihr Denkmal verändert, das auf der anderen Straßenseite, unter Bäumen des Tiergartens steht.

Wo sind die Frauen?

Die Idee schien überzeugend, die schräg gestellte, wuchtige Stele die Gleichheit aller Opfer und dennoch Besonderheit zu verkörpern. Durch ein recht kleines Fenster kann man nun einen Film sehen, der eigens für diesen Zweck gedreht wurde. Da küssen sich zwei Jungs in gebügelten Hemden.

Auch um diesen Film gab es Streit. Alice Schwarzer vermisste die Frauen. Obwohl es eine systematische Verfolgung von Lesben nicht gab, hatte die Emma-Kampagne, mehr durch Lautstärke als durch Argumente, Erfolg. Man einigte sich auf einen Kompromiss. Alle zwei Jahre wird der Film gewechselt. 2010 sollen dann küssende Frauen zu sehen sein. Ein langer Text auf einer Tafel am Wege klärt den Vorübergehenden historisch auf. Küssende Jungs sollten auch die Einladungskarten zur Eröffnung zieren. Aber der Staatsminister verzichtete darauf - er wollte, heißt es, den Kompromiss nicht gefährden.

Wie es sich gehört, wurde die Form des Denkmals sehr gelobt. Da ein Drittel der Bevölkerung küssende Männer abstoßend finde, provoziere es. Da immer neue Filme gedreht werden müssen, sorge es für dauerhafte Diskussion. Schließlich soll auch ein Zeichen gegen Intoleranz und Diskriminierung gesetzt werden.

Spiegel der Gegenwart

Das klingt alles ganz gut, aber die Stele im Grünen vermag nicht zu überzeugen. Sie wirkt als Kommentar zur Berliner Gedenklandschaft, nicht aber als Ort der Erinnerung an die Opfer. Der ästhetische Eindruck bleibt, anders als in Eisenmans Stelenfeld, schwach. Der Film, für den zwei gut aussehende Männer, Typ Schwiegersohn, ausgewählt wurden, erinnert bestenfalls an Erotik aus dem öffentlich-rechtlichen Nachtprogramm. Nichts berührt, bewegt, verstört an dieser Denksportaufgabe für Konzeptkunstliebhaber.

Die Stiftung "Denkmal für die ermordeten Juden Europas" wird auch dieses Mahnmal betreuen. Seiner Schwäche, dem fehlenden emotionalen Appell, der historischen Vagheit, wird sie kaum aufhelfen können. Es ist ein großer Fortschritt, dass es dieses Denkmal gibt, und zugleich ist es schade, dass es mehr an die Gedenkkultur der Gegenwart als an die Verhafteten, Gefolterten, Ermordeten erinnert.

Viel wurde zur Eröffnung über den Stand der Freiheit heute gesprochen, über die mehr als achtzig Staaten, in denen Schwule und Lesben noch strafrechtlich verfolgt werden, über Todesurteile, Diskriminierung, Intoleranz. Einen Moment des stillen Eingedenkens gab es nicht.

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