Magnum veröffentlicht Foto-Kontaktbögen:Eine Rechte für die Ewigkeit

Sie lieferten den Bildband des 20. Jahrhunderts - die Fotografen der Agentur Magnum. Nie zuvor und nie mehr danach war ein Kollektiv mit der Kamera dem Puls der Zeit so dicht auf der Spur. Nun erscheint ein Bildband mit den Arbeitsbögen der Fotografen. Es sind Bilder, die Geschichte gemacht haben.

Andrian Kreye

Wenn der in München geborene Fotograf Thomas Hökper erzählt, wie sein Bild des Schwergewichtsweltmeisters Muhammad Ali im Sommer 1966 in einem Boxstudio in Chicago entstand, erklärt er auch das Wesen der Reportagefotografie. Höpker war Ali von London nach Chicago gefolgt. Er hatte ihn tagelang begleitet. Selten hatte der Champ die Geduld für eine Pose von mehr als wenigen Sekunden.

Magnum veröffentlicht Foto-Kontaktbögen: Muhammad Ali, Illinois, August 1966. Thomas Hoepker war der Fotograf, der das Bild festhielt, das Alis Karriere begleiten sollte.

Muhammad Ali, Illinois, August 1966. Thomas Hoepker war der Fotograf, der das Bild festhielt, das Alis Karriere begleiten sollte.

(Foto: Thomas Hoepker / Magnum Photos)

An einem anderen Abend, beim Training sieht der Champ mich abseits im Schatten stehen. Er kommt zu mir rüber und zielt mit der Faust auf mein Weitwinkelobjektiv - links, ,bumm', rechts, ,bumm!', links!. Das Licht ist miserabel, erbärmlich schwach. Ich versuche die Faust scharf zu kriegen, habe gerade mal drei Aufnahmen im Kasten, da tänzelt Ali zurück zu seiner Boxbirne."

Das Bild von der rechten Geraden sollte das wichtigste Bild in der Karriere von Muhammad Ali werden. Ein Bild, das seine gesamte Laufbahn, seine Person und seine athletische Brillanz auf den Punkt brachte. Ein Bild, das nur entstehen konnte, weil die Arbeit von mehreren Wochen in einem entscheidenden Augenblick ihren Höhepunkt fand.

Wie es zu diesem Moment kam, kann man nun erstmals in einem der wichtigsten Bände zur Fotografie nachvollziehen, die jemals erschienen sind. Das Buch mit dem schlichten Titel "Magnum - Kontaktbögen" (Hrsg. von Kirsten Lubben, aus dem Englischen von Martina Tichy, Schirmer/Mosel Verlag, München, 2011. 508 Seiten, 98 Euro) zeigt auf über 500 Seiten jene Arbeitsbögen, auf denen die Fotografen der Agentur Magnum ihre Bilder fanden, die dann Fotografiegeschichte schreiben sollten.

Eine Arbeitsweise, die am Verschwinden ist

Sicher zeigt der Band auch die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Die Mitglieder jener Agentur, die Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David "Chim" Seymour und George Rodger kurz nach dem Ende des Krieges in Paris gründeten, waren der Geschichte so dicht auf der Spur, wie kein anderes Kollektiv jemals zuvor und danach.

Magnum veröffentlicht Foto-Kontaktbögen: Nie zuvor und nie danach war ein Kollektiv mit der Kamera der Geschichte so dicht auf der Spur wie "Magnum". Die Kontaktbögen zeigen die Entstehung der ikonografischen Bilder des 20. Jahrhunderts.

Nie zuvor und nie danach war ein Kollektiv mit der Kamera der Geschichte so dicht auf der Spur wie "Magnum". Die Kontaktbögen zeigen die Entstehung der ikonografischen Bilder des 20. Jahrhunderts.

(Foto: Thomas Hoepker / Magnum Photos)

So finden sich in diesem Band Robert Capas Bilder von der Eroberung der Normandie und der Stadt Leipzig, René Burris Porträtstudie des Revolutionärs Ernesto "Che" Guevara, David Hurns Reportage über die Studioaufnahmen der Beatles, Josef Koudelkas fotografischer Bericht über die Invasion in Prag, Gilles Peress' Aufnahmen vom irischen Blutsonntag und Stuart Franklins Foto des rebellischen Passanten, der während der Niederschlagung der Unruhen am Tiananmen Square eine Kolonne Panzer aufhält.

Noch vor zehn Jahren wäre dieser Band eine philologische Fleißarbeit gewesen. In einer Zeit, in der jeder Besitzer eines Smartphones mittels Software hübsche Fotos machen kann, sind die Kontaktbögen das Dokument der bedachten Arbeitsweise mit Film, die am Verschwinden ist. Das letzte der chronologisch gestaffelten Kapitel zeigt dann auch den Weg der Fotografie in ihre Zukunft. Die 35mm-Kleinbild-Filme sind nur noch eines von vielen Formaten.

Traditionalisten mögen den Niedergang des Films mit seinem Korn und seinen Unschärfen beklagen. In den großformatigen Bildern von Paolo Pellegrin und Alex Soth, in den Filmstills von Antoine D'Agata oder den Digitalaufnahmen von Mikhael Subotzky zeigt sich ein Weg in die Vielfalt, der keinen Verlust, sondern eine Freiheit von Formaten bedeutet. Auch wenn 2011 das Jahr war, in dem der Kodachrome-Film endgültig verschwand.

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