"Magical Mystery" im Kino:Über diesen Film muss man glücklich sein

"Magical Mystery" im Kino: Eigentlich ist Karl Schmidt (Charly Hübner) eher ein depressiver Typ. Aber für den bayerischen Schnee kann man schon mal eine Ausnahme machen.

Eigentlich ist Karl Schmidt (Charly Hübner) eher ein depressiver Typ. Aber für den bayerischen Schnee kann man schon mal eine Ausnahme machen.

(Foto: Gordon Timpen/DCM)

"Magical Mystery" ist eine Komödie zwischen Mauerfall und Loveparade. Gegen Sven Regeners Figuren wirken selbst Superhelden einfach nur langweilig.

Von David Steinitz

Karl Schmidt darf jetzt nur noch Kaffee und Zigaretten. Keine Drogen, fragt der alte Kumpel, nicht mal Haschisch? Nein, sagt Karl Schmidt, der jetzt clean ist, leider nicht. Auch kein Bier, fragt der alte Kumpel fassungslos, nicht mal ein Bier? Nein, sagt Karl Schmidt, nur noch Kaffee und Zigaretten.

Die Tragikomödie "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" beginnt mit einem Kater. Also nicht so einem Weichei-Kater mit ein bisschen Schädelweh am nächsten Tag, sondern mit einem richtigen Katermonster, als Quittung für ein, sagen wir mal vorsichtig, eher experimentelles Leben.

Die Vergangenheit holt Karl ein, ausgerechnet in diesem Kiez

Deutschland 1995, das Land ist eine einzige wiedervereinigte Afterwork-Party. Aber die Welt des Karl Schmidt (Charly Hübner) besteht aus einem Dauerpelzgefühl auf der Zunge, der Kopf ist wie in Watte gepackt, und alles um ihn herum läuft in Zeitlupe ab. Früher hat er in Westberlin gelebt, als Künstler und Kneipier. Dann hat er es mit den Drogen etwas übertrieben, landete in der Psychiatrie, verpasste den Mauerfall und lebt jetzt in einer Sozial-WG in Hamburg-Altona.

Ausgerechnet in diesem Kiez, genauer gesagt in der Eisdiele "La Romantica", die wie das exakte Gegenteil ihres Namens aussieht, holt ihn die Vergangenheit ein. Dort trifft er seinen Kumpel von früher. Raimund (Marc Hosemann) hat mittlerweile ein Techno-Label, das tatsächlich Bumm-Bumm Records heißt und ist quasi aus Versehen reich geworden, weil ja jetzt alle Techno hören. Gemeinsam mit seinem Bumm-Bumm-Mitbesitzer will er eine Magical-Mystery-Tour veranstalten, "wie bei den Beatles, nur auf Rave". Und obwohl es natürlich komisch ist, den guten alten Karl Schmidt komplett nüchtern zu sehen, könnte er einen wie ihn bestens gebrauchen. Als Fahrer für den Tourbus und als Aufpasser für die DJ-Truppe - einer muss ja nüchtern bleiben. Stellt sich nur die Frage, ob eine Clubtour durchs ganze Land die richtige Kur für einen ist, der mit seinen alten Dämonen kämpft und nur noch Kaffee und Zigaretten darf.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Sven Regener, der auch selbst das Drehbuch geschrieben hat. Die Figur des Karl Schmidt tauchte zum ersten Mal in seinem Romandebüt "Herr Lehmann" von 2001 auf, als bester Freund der Hauptfigur. Damals schweißte und lötete Karl abstrakte Kunst, am Ende des Buches hatte er seinen großen Zusammenbruch und wurde von Herrn Lehmann zum Psychiater gebracht, der mit einem großen Seufzer den nächsten Irren in Empfang nahm, der zu viel Westberlin inhaliert hatte.

In den Folgejahren schrieb Regener zwei "Lehmann"-Fortsetzungen, in einer tauchte Karl Schmidt wieder als Nebenfigur auf. 2013 folgte schließlich mit "Magical Mystery" der große Soloauftritt. Das Buch ist eine tragikomische Postwendegeschichte übers Loveparade-Deutschland und die absurde Sorglosigkeit der unterbeschäftigten Neunzigerjahre. Ein Roadtrip durch die Clubs von Hamburg, Berlin, Bremen, Köln und München, erzählt aus der Perspektive von einem, für den die große Party längst vorbei ist.

Geschichten über Kneipenmelancholie und Großstadteinsamkeit

Charly Hübner spielt Karl Schmidt mit vollem Bierbaucheinsatz und langen Zottelhaaren als einen Mann, der sich nicht nur mental, sondern auch physisch selbst im Weg steht. Der Schauspieler ist, was in seiner Rolle als Rostocker "Polizeiruf"-Kommissar immer etwas unterging, auch ein großer Slapstick-Künstler. Er schafft es aber auch, die plötzlichen Abstürze des Karl Schmidt in die schwärzeste Depression, die im Roman viele Seiten einnehmen, zwischen zwei Zigarettenzügen aufscheinen zu lassen - und das können wirklich nur sehr große Schauspieler.

Der Regisseur Arne Feldhusen, der zuvor unter anderem die TV-Serien "Stromberg" und "Der Tatortreiniger" gedreht hat, lässt Karl Schmidt durch ein liebevoll rekonstruiertes Nachwende-Deutschland stolpern, dessen Entstehung Karl während seiner Blackoutzeit im Krankenhaus verpasst hat. Ein zur Nüchternheit verpflichteter Westberliner auf Clubtour durch die neue Bundesrepublik, das macht diese Figur in ihrer sympathischen Provinzialität zum idealen Komödienprotagonisten, gerade auch fürs Kino.

Dialoge, so pointiert komponiert wie die Songtexte von Element of Crime

Viele Spaßmacher in Deutschland sind ja von dem kleinbürgerlichen Minderwertigkeitskomplex besessen, dass deutsche Komödien unbedingt so wie amerikanische Komödien aussehen müssen. Weshalb sie versuchen, jeden Anschein von Provinzialität zu vermeiden - was ihre Filme aber erst recht provinziell aussehen lässt. Da versuchen dann zum Beispiel Matthias Schweighöfer und Til Schweiger, die Skyline von Frankfurt oder Berlin so zu filmen, als sei's New York oder wenigstens Boston, was natürlich überhaupt nicht funktioniert. Und ihre Figuren müssen alle in merkwürdigen Lofts leben, die es so vermutlich nicht mal in den USA, sondern höchstens in der Marmeladenwerbung gibt. Das macht ihre Charaktere und deren Lebenswelten ähnlich artifiziell wie die Roboter und Superhelden, die im amerikanischen Kino mittlerweile die echten Menschen abgelöst haben.

Umso glücklicher muss man über einen Film wie "Magical Mystery" sein. Die Figuren - nicht nur Karl Schmidt, sondern auch die ganze merkwürdige Truppe, die er da durchs Land chauffiert - sind allesamt stoische Überlebenskünstler zwischen Plattenteller und Dönerbude, gegen die die meisten Superhelden einfach sehr langweilig wirken. Dass das im Film genauso gut rüberkommt wie im Roman liegt natürlich auch daran, dass die Bücher von Sven Regener bereits halbe Drehbücher sind. Die Dialoge sind so sorgfältig und pointiert komponiert wie die Songtexte seiner Band Element of Crime.

Die Geschichten von Regener - und der Regisseur Arne Feldhusen folgt ihm hier auf ganzer Linie - sind Geschichten über Kneipenmelancholie und Großstadteinsamkeit, die sich aus den Kiezen, in denen sie spielen, niemals herauslösen lassen würden. Deshalb sind sie im besten Sinne auch sehr deutsche Geschichten, vor allem weil es in "Magical Mystery" einmal von Norden nach Süden und wieder zurück geht. Regener hat als Schriftsteller und Drehbuchautor mittlerweile eine Kunstfertigkeit erreicht, mit der er einen wie Karl Schmidt zwischendrin auch mal im bayerischen Alpenschnee abladen kann, ohne dass es deplatziert wirkt. Und mit dem Gummireifen einen Berghang runterzurutschen, kann gerade bei alten Westberlin-Depressionen wahre Wunder wirken.

Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt, Deutschland 2017 - Regie: Arne Feldhusen. Buch: Sven Regener. Kamera: Lutz Reitemeier. Mit: Charly Hübner, Annika Meier, Marc Hosemann, Detlev Buck, Bjarne Mädel. DCM, 111 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: