Mädchenbuch:Riesenwut

Lea kämpft für eine bessere Zukunft, will raus aus ihrem elenden Leben, weg von der trunksüchtigen Mutter, die sie schlecht behandelt. Verheimlicht ihre Situation, bis sie sich eines Tages nicht mehr zu helfen weiß.

Von Verena Hoenig

Lea glaubt es kaum: Auf der "Wer ist das tollste Mädchen"-Liste belegt sie den dritten von vierzehn Plätzen. Dabei fühlt sich die fast 16-Jährige selbst weder hübsch noch angesagt. Nach außen gibt sie sich cool, aber in ihr tobt ein Sturm. Lea, wegen ihrer langen blonden Haare auch Spaghetti genannt, ist sensibel, Asthmatikerin, und ständig wird sie rot vor Scham. Sie hat es nicht geschafft, ihren Freund Lenny zu küssen, ist ihm immer wieder ausgewichen. Gerade hat er sie verlassen. Zu allem Überfluss ist Lea sitzen geblieben und damit zur "Klassenomi" geworden.

Ihr größtes Problem aber ist die alkoholkranke Mutter, die seit Jahren nicht mehr die Wohnung verlässt. Täglich muss Lea Zigaretten und Bier organisieren. Zum "Dank" wird sie angeschrien, geohrfeigt, eingesperrt und soll auch noch während der Schulzeit die Gänge zum Amt erledigen. Anziehsachen und Schuhe gibt's nur aus der Kleiderkammer, und wenn sie nicht so oft bei ihrer besten Freundin Pola mitessen könnte, bekäme sie nie etwas Warmes in den Bauch. Elende Verhältnisse sind das, und trotzdem soll keiner davon erfahren, selbst Pola nicht. Trost findet Lea bei ihrer Clique, die sie akzeptiert und mag. Und dann ist da natürlich ihr Tagebuch, das der Leser mitliest.

Die Sprache des inneren Monologs ist einfach. Lea erzählt oft ausufernd, es gibt enervierende Wiederholungen, etwa wenn sie nach Lenny schmachtet. Sabine Raml lässt uns auf diese Weise am Gefühlschaos ihrer Hauptfigur, zu dem auch eine Riesenwut gehört, unmittelbar teilhaben. Wie gern wäre Lea einfach normal, ohne brennende Lungenflügel und ohne eine Mutter, die sich durchs Leben trinkt und mit der flachen Hand zuschlägt. Es ist erschütternd zu verfolgen, wie das Mädchen den Alltag stemmt und sich aus falsch verstandener Loyalität niemandem anvertraut. Und wie es die Mutter trotz allem liebt.

Im letzten Drittel des Buches treten Gedanken und Träume zugunsten der Handlung zurück. Lea erlaubt sich endlich, auf ihre Not aufmerksam zu machen. Sie steigt auf einen Baum, von dem sie nicht mehr herunter will und kollabiert schließlich. Das Ende ist eher ein Aufatmen als glücklich. Sie glaubt wieder an Wunder, und überwindet ihren Selbsthass, selbst wenn es "Dinge gibt, die wirklich nie mehr gut werden".

Das Romandebüt Heldentage von Sabine Raml wurde mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg 2014 ausgezeichnet. (ab 14 Jahre)

Sabine Raml: Heldentage. Do what you love! Heyne fliegt 2015. 301 Seiten, 14,99 Euro.

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