Madonna, Kylie, Britney:Strass in der Manege

Ein mörderisches Rennen ist der Pop für die Frauen geworden, eine Tempodrosselung ist nicht in Sicht - und eine wahre, komplexe und interessante Frauengestalt schon gar nicht.

Langsam neigt das Mädchen seinen Kopf hinunter zu dem der Frau, die, mit dem Rücken zur Wand, nicht anders kann als darauf zu warten, den Kuss der fordernden Jüngeren zu empfangen, nur noch Zentimeter, ein Zögern und dann . . . Abblende, Schluss, die Musik ist aus. Der zuletzt bei den MTV Awards einem weltweiten Live-Publikum vorgeführte Kuss zwischen der Königin und der Prinzessin im Reiche Pop wiederholt sich im Video nicht, er bleibt bloße Andeutung.

Britney-Spears.Figur

Diese Britney ist nicht echt, sondern aus Wachs. Hätten Sie's gemerkt?

(Foto: Foto: AP)

Was Madonna und Britney Spears da im Video zu Spears' neuer, heute erscheinender Single "Me Against The Music" veranstalten, ist seinem symbolischen Gehalt nach eine relative Neuheit im Pop - ein konkurrenzfreies zwischenweibliches Verhältnis zwischen erfahrener Mentorin und gelehriger Schülerin, das der Beantwortung einer nicht ganz unproblematischen Frage dienen soll: Was macht ein Mädchen eigentlich zur Frau, was aus dem ferngesteuerten Teenie-Popstar eine erwachsene Künstlerin?

"Hey Britney, you say you want to lose control - come over here, I got something to show you", raunt Madonna der Jüngeren im Lied zu und empfiehlt ihr unverhohlen, ihr Image sexuell aufzumotzen. Der von Madonna avisierte Kontrollverlust dient nur oberflächlich der sexuellen Selbstfindung der Jüngeren und enthält eine viel weitergehende Verheißung:

Erst mit der offensiven Behauptung der eigenen, öffentlich ausgestellten Sexualität beginnt die Emanzipation des industriell gefertigten weiblichen Popstars von seiner unfreien Rollenfestschreibung. Der Star Britney wird demnach handelndes Subjekt in dem Moment, da sich Spears ihres Daseins als Sexobjekt bewusst wird - und diese Erkenntnis aggressiv für sich nutzbar macht. Es geht also in Wahrheit um einen angestrebten Kontrollgewinn, der den gesamten Prozess der eigenen Musik- und Image-Produktion umfasst.

Aber selbst wenn das klappen sollte: Ihren männlichen Fans dient Britney weiter als Folie erotischer Fantasien, den weiblichen als Identifikationsfigur einer nun vorgeblich selbstbestimmten Fraulichkeit.

Genauso lässt sich Madonnas Aufstieg von den frühen achtziger Jahren an zum bis heute wirkmächtigsten und meistanalysierten weiblichen Popstar skizzieren. Sie gilt längst als Inbegriff der neuen Frau - über die Maßen erfolgreich nicht nur im Beruf, sondern mittlerweile auch als Mutter und Ehefrau, und so flexibel, dass sie ihr Tun und dessen Außendarstellung jederzeit neu justieren kann.

Ihre Karrierestrategie eines ständigen Image-Wechsels ist vordergründig deshalb heute die meistkopierte im Pop. Dabei ist Madonna in Wahrheit ein singuläres Phänomen, nicht nur kommerziell und in ihrer unvergleichlichen Machtfülle: Sie steht keineswegs für eine Zwischenstation einer linear verlaufenden Entwicklung der Frauenbefreiung im Pop, sondern für einen historischen Sonderfall einer letztlich gescheiterten Emanzipationsgeschichte.

Diese reicht von der Produzenten-Leibeigenschaft der fünfziger Jahre über die relative Unabhängigkeit von Frauen wie Janis Joplin in den späten sechziger Jahren - die sich in vermeintlich authentischen Genres wie dem Folk und dem Singer-Songwritertum bis heute fortsetzt - und den Rückschritt in den zutiefst von männlichen Fantasien geprägten Phänotypen "Rockröhre" und "Disco Queen" in den siebziger Jahren.

Sie endete mit der Erscheinung Madonnas in den Achtzigern - alternative Frauenbilder wie das der feministisch motivierten Riot-Grrrl-Rebellinnen oder der Versuch Björks, etwa mit Cyborg-Selbstdarstellungen eine Art modernisiertes drittes Geschlecht zu definieren, blieben in den neunziger Jahren Randphänomene.

Die einzige Frau im Mainstream-Pop, die sich wenigstens ansatzweise traut, stereotype Rollenklischees in Frage zu stellen, ist heute die Sängerin Pink, die in der kommenden Woche ihr zweites Album "Try This" veröffentlicht: Darauf besingt sie in explizit rockigen Liedern die Autobiografie einer Frau, die aus zerrütteten Familienverhältnissen stammt und auf der Suche nach sich selbst ist.

Pink nimmt dabei häufig Bezug auf Vorbilder wie Janis Joplin. Zuletzt jedoch trat sie bei einer Fernsehsendung im durchsichtigen Top auf. Ohne BH.

Tatsächlich ist heute nicht die komplexe Frauenfigur Madonna, sondern die knapp zehn Jahre jüngere Kylie Minogue der wahre Prototyp der Frau im Pop, der als Blue Print für Britney Spears, Christina Aguilera, Beyoncé Knowles und eine Unzahl weit schlechterer Kopien dient - das Covergirl ohne originäre Biografie außerhalb des Systems Pop, das seinen Mangel an Lebenserfahrung durch Körpereinsatz wettmacht und sich selbst als Medienfigur begreift.

Minogue war die erste Sängerin moderner Prägung, die aus einer TV-Soap direkt in die Charts gecastet wurde, als 19-Jährige, sieben Jahre nach ihrem ersten Fernsehauftritt. Spears und Aguilera haben dieses Konzept nur radikalisiert, sie tauchten jeweils bereits mit acht Jahren im Fernsehen auf.

An ihnen wird der Paradigmenwechsel deutlich, den Pop vollzogen hat: Strukturell hat er die Sphäre der Kunst verlassen und übernimmt für sich die Trainingsideologie des Sports. Der neue Glauben an quälend anstrengende Ausbildung und messbare Leistung, an die gesangliche, tänzerische, optische Zurichtung des Körpers im Zeitalter seiner technischen Modifizierbarkeit hat den alten Glauben an die Hervorbringung von Pop durch Inspiration ersetzt.

Der Mangel an Distinktionsmerkmalen, der sich aus dieser Körperpolitik der Entblößung und den im Frauenpop geltenden Produktionsstandards ergibt, macht den schalen Beigeschmack: Wenn in zwei Wochen die neuen Alben von Britney Spears und Kylie Minogue erscheinen, sind sie als überwiegend von handelsüblichem Midtempo-R'n'B geprägte Platten kaum zu unterscheiden.

"In The Zone" (Spears) und "Body Language" (Minogue) wurden dementsprechend als fast identische Highstreet-Produkte positioniert, abzulesen an den Magazintiteln, über die diese Covergirl-Platten lanciert wurden: Spears zog sich für Esquire und die britische GQ fast völlig aus, Minogue beließ es in der I-D bei fotografischen Andeutungen. Beyoncé Knowles, die von ihrem Vater in der Manier eines Tenniskindes trainiert wurde, muss sich einstweilen mit dem Titelbild der FHM abfinden.

Angesichts der sexuell übercodierten Sportwerdung des Pop mag das Schicksal der Generation zwischen der Überlebenskünstlerin Madonna und der noch leidlich unverbrauchten Britney Spears nicht zufällig, sondern in der Logik körperlicher Abnutzung erscheinen: Whitney Houston wirkte zuletzt erschreckend abgemagert, von Mariah Carey ist ein körperlicher Zusammenbruch bestätigt, und von Janet Jackson heißt es, bevor sie sich im kommenden Jahr mit einer neuen Platte an die Öffentlichkeit trauen könne, müsse sie erst mal 15 Kilo abtrainieren.

Ein mörderisches Rennen ist der Pop für die Frauen geworden, eine Tempodrosselung ist nicht in Sicht - und eine wahre, komplexe und interessante Frauengestalt schon gar nicht.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: