Madame Marguerite:Not nach Noten

Madame Marguerite: Große Diva, kleine Stimme: Catherine Frot spielt die missglückte Operndiva Madame Marguerite, die unbedingt singen will, aber nicht singen kann.

Große Diva, kleine Stimme: Catherine Frot spielt die missglückte Operndiva Madame Marguerite, die unbedingt singen will, aber nicht singen kann.

(Foto: Concorde)

Xavier Giannolis Gesellschaftssatire "Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne" ist komisch, rührend und eine Herausforderung für jedes Trommelfell.

Von Susan Vahabzadeh

Es sieht aus wie ein zauberhafter Nachmittag, aber als Zuschauer bekommt man schneller mit, dass mit dieser Einladung etwas faul ist, als die junge Opernsängerin Hazel (Christa Théret). Sie ist glücklich, dass sie an einem von Madame Marguerites Musiknachmittagen teilnehmen darf, auf ihrem formidablen Landsitz, und dafür auch noch großzügig entlohnt wird - sie war noch nie dort und ist deswegen die Einzige, die sich auf den Auftritt der exzentrischen Millionärsgattin freut, heimliche Mäzenin der Pariser Musikwelt der frühen Zwanziger. Überall stehen champagnertrunkene Gäste herum und Szenenfotos: Madame Marguerite in Aktion in wechselnden absurden Kostümen - ein Star.

Kann es wirklich sein, dass diese Frau von Amadeus bis Wagner alles gesungen hat, auf allen großen Opernbühnen der Welt, und Hazel, das Nachwuchstalent, aber immerhin vom Fach, sie noch nie live gehört hat? Hazel wird das Mysterium bald lösen. Zu diesem Zeitpunkt hat man schon gesehen, dass Marguerites Mann Georges (André Marcon) alles dransetzt, ihren Auftritt zu verpassen. Als Höhepunkt des Nachmittags baut sich also Madame vor ihren Gästen auf, als Königin der Nacht. Und dann tut sie der Arie "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen" unaussprechliche Dinge an, die ein empfindliches Trommelfell leicht zur Implosion bringen könnten. Viel schlimmer als der Anfang einer Casting-Show ist es dann auch wieder nicht - man kann aber zwei Stunden lang erkunden, warum jemand sich das antut.

Der französische Filmemacher Xavier Giannoli hatte vor fast zehn Jahren mit "Chanson d'amour" einen Überraschungserfolg. Gérard Depardieu tingelt da als abgehalfterter Schlagersänger durch die Provinz, auch er ist eine traurig-komische-Figur - weil er sich von der Vergangenheit nicht lösen kann. Bei Madame Marguerite stellt man schnell fest, dass es gar keine Vergangenheit gibt. Die Szenenfotos sind nicht aus der Scala und der Met, sie macht sie zu Hause, mit privat in Auftrag gegebenen Kostümen und der Hilfe ihres Butlers, dem es einiges Vergnügen bereitet, ihren Hirngespinsten auf die Füße zu helfen, während Georges langsam die Ideen für die permanente Sabotage öffentlicher Auftritte ausgehen.

Madame kann nicht singen und sie konnte es nie. Aber niemand ist bereit, ihr das zu sagen. Catherine Frot spielt das großartig, nicht als Clown, sondern im Gleichgewicht zwischen leiser Komik und rührender Verletzlichkeit. Madame Marguerite spinnt - aber mit der Zeit begreift man sie immerhin etwas besser: Wie sie um Aufmerksamkeit heischt, sich in ihre Träume rettet, weil sie todunglücklich ist, und das Spinnen ihr hilft, alles zu ertragen.

Giannoli hat das Drehbuch mit Marcia Romano geschrieben, basierend auf einem realen Fall - Florence Foster-Jenkins, deren Lebensgeschichte gerade Stephen Frears mit Meryl Streep verfilmt. Foster-Jenkins' Geschichte passt zum Castingshow-Zeitalter. Diese Version wird vielleicht näher dran sein an dem, was wirklich passiert ist. Giannoli hat die Geschichte vom New York der Vierziger ins Paris der Zwanziger verlegt, weil er gern in den Kostümen dieser Zeit, den üppig und kitschig möblierten Räumen schwelgen wollte; und er erfindet diese Frau neu - Foster-Jenkins, man kann das im Internet nachhören, klingt zwar fast genauso wie Catherine Frot, die sich viel Mühe geben musste, bei fast jedem Ton danebenzuliegen. Aber Florence Foster-Jenkins wusste, wie schräg ihr Gesang klang, obwohl sie ihn wahrscheinlich nicht hören konnte. Madame Marguerite ahnt nichts davon, und es ist kein Hörschaden, der sie daran hindert, sondern ihre Fantasie.

Die Sehnsucht, Träume vor aller Augen platzen zu lassen, ist älter als das Fernsehen

Hazel begegnet Madame immer wieder, denn auf Marguerites Konzert hat sie einen Pariser Kritiker kennengelernt, Lucien, und seinen poetischen Freund Kyrill, zwei recht kindische Partylöwen, die Marguerite unbedingt vor Publikum vorführen wollen, wie einen Zirkusbären. Die Sehnsucht, die Träume anderer Menschen vor den Augen der Welt wie Seifenblasen zerplatzen zu lassen, ist vielleicht wirklich älter als das Fernsehen - es schafft nur neue Möglichkeiten. "Madame Marguerite" ist eine Gesellschaftssatire. Der Regisseur ist ausgezogen, um eine Geschichte zu finden über die Grausamkeit der menschlichen Natur.

"Madame Marguerite" handelt einerseits von Opportunismus, von Leuten, die klatschen, weil sie nicht nachdenken; von solchen, die es tun, weil sie sich daran eine goldene Nase verdienen; und von solchen wie Lucien und Kyrill, kleine, unreife Zyniker, die ihren Spaß haben wollen. Zynismus aber, so lässt Giannoli seine Geschichte sich entwickeln, ist meist eine Frage der Entfernung. Hazel ist von Anfang an frei davon; Lucien lernt dazu. Und dann ist da noch der über seinen eigenen Avantgardismus gestrauchelte Opernsänger Atos (Michel Fau), der aus Geldnot die Sisyphos-Aufgabe übernimmt, Marguerites Gesang zu verbessern. Er ist selbst eine komische Figur - und es gibt einen Punkt, an dem er in einem Dilemma steckt, weil er längst angefangen hat, sein Opfer zu mögen.

Denn Madame Marguerite ist großzügig und warmherzig und entwaffnend naiv in der Einschätzung ihrer Künste. Jedem, der sie näher kennenlernt, offenbart sich ihre Zerrissenheit. Die Grausamkeit ist eben genauso menschlich wie ehrliche Empathie.

Marguerite, Frankreich/Belgien/Tschechische Republik 2015 - Regie: Xavier Giannoli. Drehbuch: Giannoli und Marcia Romano. Kamera: Glynn Speeckaert. Mit: Catherine Frot, André Marcon, Michel Fau, Christa Theret. Concorde, 127 Minuten.

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