Lyrik:In der Worterepublik

Itzik Manger

Itzik Manger, gezeichnet von Krankheit und Alkohol.

(Foto: Suhrkamp)

Ein Abend über den jiddischen Dichter Itzig Manger

Von Eva-Elisabeth Fischer

Wäre es Sommer, die Leute hätten sich vor in den Hof gesetzt, um diese Lesung zu hören. Der Andrang war enorm im Lyrikkabinett, wohl auch, weil der Eintritt frei und der Abend prominent besetzt war. Es drängte sich ein erlesener Zirkel von Lyrikfreunden, engmaschig durchwirkt von in Ehren ergrauten Häuptern der Münchner Intelligenzija. Die Bayerische Akademie der Schönen Künste hatte eingeladen, Gedichten von Itzik Manger zu lauschen, dem "Prinzen der jiddischen Balladen". Auf Deutsch las der literarisch beseelte Schauspieler Hans Zischler, was die israelische Judaistin und Germanistin Efrat Gal-Ed im jiddischen Original vortrug. Ihre Beschäftigung mit Manger, dem Volksdichter der Ostjuden, gipfelte 2014 in ihrer Biografie "Niemandssprache" (Jüdischer Verlag). Diese basiert auf ihrer Dissertation über den jungen Manger sowie einer Kurzversion seiner Lebensstationen in der wundervollen, zehn Jahre davor erschienenen Gedichtanthologie "Dunkelgold". Das Besondere an "Niemandssprache" ist das inhaltlich diktierte zweispaltige Layout analog zum Talmud, dessen Texte die Kommentare rahmen: links das Biografische, rechts die Erläuterungen zur Entwicklung der jiddischen Kultur.

Heute muss viel erklärt werden, denn die jiddische Kultur wurde zusammen mit ihren Menschen ausgerottet von den Nazis. Und mit der Schoah, die Manger ins Exil trieb, nach Frankreich, England, in die USA und schließlich nach Israel, wo der 1901 in Czernowitz in der Bukowina Geborene 1969 in Gedera starb, mit der Vernichtung von Mensch und Schrift also, verstummte auch der Balladen-Dichter in ihm. Deshalb eröffnete Akademiepräsident Michael Krüger mit dem gewichtigen Satz: "Wem bei diesen Buch nicht die Tränen kommen, der hat keine mehr."

Manger hatte sich mit 17 Jahren bewusst für das Jiddische entschieden. 1927 war das Jiddische eine "Worterepublik" für das Volk des Wortes ohne Nationalstaat, die den letzten Platz im Pen-Club besetzte. 1947 schrieb Itzik Manger in Polen: "Die Flüsse haben aufgehört, Jiddisch zu sprechen." Ach ja, wer da nicht weint. . .

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