Luxus: Kind:Das Baby - passend zu den Pumps

Man trägt wieder Kind: Was wir vom neuen Mütter-Chic lernen können - und was bestimmt nicht.

BERND HERBON

Die Prêt-à-porter-Schauen für die nächste Sommersaison sind längst vorbei - und nur eine Minderheit will aufrichtig wissen, ob Schwarz nun das neue Weiß ist oder ob Hosen künftig drei Viertel oder sieben Achtel des Frauenbeins bedecken. Dabei ist Mode mehr als nur der bunte Wechsel der Schnitte, Stoffe und Farben. Couturiers sind erstaunlich präzise Seismografen des Zeitgeistes. Änderungen der Looks und Lifestyles erlauben oft verblüffend genaue Aussagen über die Befindlichkeiten der Gesellschaft.

Luxus: Kind: Jerry Hall, Mutter von vier Kindern, derzeitrole modelvon Hennes & Mauritz, hier im Jahr 1998 mit Sohn Gabriel Luke Beauregard Jagger bei der "Bella Freud's"-Fashion-Show in London.

Jerry Hall, Mutter von vier Kindern, derzeit

role model

von Hennes & Mauritz, hier im Jahr 1998 mit Sohn Gabriel Luke Beauregard Jagger bei der "Bella Freud's"-Fashion-Show in London.

(Foto: Foto: AP)

Sogar Wirtschaftsexperten profitieren von den Prognosen der Mode: Je höher der Saum, so heißt es, desto höher klettern in der Folge die Investitionserwartungen. Insofern dürfte nach der sommerlichen Renaissance der Minis das Schlimmste überstanden sein.

Auch sonst besteht Anlass zu guter Hoffnung. Das bestätigt ein Blick in die internationalen Fashion-Magazine. Vertraut man den Signalen der Szene, müssten die schlechten Geburtenraten in Deutschland (1,35 Kinder pro Frau) und in anderen europäischen Ländern bald der Vergangenheit angehören. Denn statt androgyner Autisten lächeln nun selbstbewusste Model-Mütter mitsamt ihren Babys von den Hochglanzseiten. Man trägt offenbar wieder Kind.

Besonders der Amerikaner Tom Ford tut was für den Nachwuchs. Das von ihm betreute italienische Label Gucci präsentiert in seinen Anzeigen die niedlichsten must-haves dieses Modeherbstes: wohlgenährte Säuglinge in den Trendfarben Mokka und Rosé.

Die Klamotten? Nahezu Nebensache! Hennes & Mauritz leistet sich die 47 Jahre alte Jerry Hall, Mutter von vier Kindern, als role model. In der Burberry-Kampagne beweist Kate Moss, dass die Zeit der Exzesse und Entziehungskuren vorbei ist.

Als Beschützerin im weißen Trenchcoat hält sie Händchen mit englischen Erstklässlern. Und die Fachzeitschrift W widmet Moss eine vierzigseitige Hommage, inklusive einem Lucian-Freud-Gemälde der nackten, schwangeren Kate.

Claudia Schiffer dagegen bewarb sich auf einem Cover der deutschen Vogue mit Sohn Caspar im Arm als die neue Mutter der Nation. Ihren Appell an die Landsleute verkündet sie im Innenteil: "Ihr solltet euch unbedingt ein Baby anschaffen!"

Schiffers Kolleginnen von Liz Hurley bis Laetitia Casta verbreiten ähnlich frohe Botschaften. In jedes Mikrofon hinein berichten sie begeistert von ihrem neuen Leben als working mum zwischen Werbeaufnahmen und Wickelkommode.

Das Erfrischende an all diesen PR-Inszenierungen ist ihre Ehrlichkeit. Denn die vermeintlichen Oberflächen-Surfer der Modeszene sprechen aus, was Politiker verschämt leugnen: Kinder sind Luxus! Schwerer zu kriegen als eine Vintage-Robe von Dior. Empfindlicher als Eidechsenhaut-Pumps. Und viel extravaganter. Ein Baby verspricht, wonach ein Fashion-Victim sich verzehrt: nach der einzigartigen Anschaffung fürs Leben.

Mäkler am schlecht organisierten Sozialstaat und allein erziehende Mütter können sich über die Denkanstöße aus der Designer-Ecke zu Recht aufregen. Was wissen Mannequins schon von fehlender Ganztagsbetreuung?

Andererseits könnte man darüber nachdenken, ob der bizarre Babyboom aus dem Reich der Illusionen und Imaginationen nicht auch auf die Realität ausstrahlen könnte. Ist es nicht das Wesen des Luxus, dass sich alle danach sehnen?

Wobei die Deutschen offensichtlich eine andere Luxusskala bevorzugen als die übrigen Nationen. Autos, Immobilien und Reisen rangieren weit vor eigenem Nachwuchs. "Kinder sind in Deutschland nur das i-Tüpfelchen auf einer Partnerschaft, nachdem Karriere, Finanzen und Wohnung geregelt sind", sagt die Psychologin Claudia Quaiser-Pohl. In Großbritannien und den USA sieht man das anders. Dort verzichtet man auf Privilegien, um mit der tollen Ausbildung der Sprösslinge bereits ab dem Kindergartenalter Prestige-Punkte zu sammeln.

Noch etwas fällt auf beim Betrachten der Model-Mamis, die mit ihren Babys so herzig in die Kamera lächeln. Sobald die Studioscheinwerfer ausgeknipst sind, steht zu vermuten, werden sie ihre Lieblinge ohne viel Aufhebens in die Hände bereitstehender Nannys geben. Hierzulande wäre das kaum denkbar. Denn nichts ist so gefürchtet wie der Ruf der Rabenmutter. Deshalb stillen deutsche Frauen mit zwei Kindern im Durchschnitt neun Monate lang ihren Nachwuchs und setzen sechs Jahre mit der Arbeit aus. Französinnen dagegen stillen ihre Babys nur drei Monate und geben sie früh in die Kinderkrippe. Unverantwortlich? Nicht, wenn man die Maxime von Kindern als Luxus ernst nimmt. Luxus steht letztlich auch für intensives Erleben, Lust und temporäre Freiheit. Von Frust, Alltag und Abhängigkeit ist nicht die Rede.

Und was wird nun aus der modebewussten Kinderliebe? Möglicherweise mehr als ein Modegag. In den deutschen Trendsetter-Bezirken Prenzlauer Berg und Berlin-Mitte ist die Botschaft jedenfalls längst angekommen. Dort stieg die Geburtenrate in den letzten vier Jahren um etwa 25 Prozent. Vielleicht werden die Yuppie-Bastionen von Schwabing bis Eppendorf bald nachziehen.

Der Baby-Porsche als Einstiegsmodell aller Arrivierten hätte dann ausgedient zugunsten eines neuen Statussymbols: dem Porsche mit Kindersitz.

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