"Luther" in der Kritik:Weg mit dem Mönch

Eine kritische Betrachtung der Produktion

Von Dirk Wagner

"Das Volk bringt zu viel, mehr als zum Dienst dieses Werkes nötig ist", übersetzte Martin Luther 1524 den Einwand von Künstlern im zweiten Buch Mose. Fast ein halbes Jahrtausend danach lebt in der Olympiahalle das Pop-Oratorium "Luther" zu Ehren des Reformators von solchem Zuviel des Volkes. 2069 Laien-Sänger übertönen mitreißend, wie blutleer Michael Kunzes und Dieter Falks Singspiel eigentlich ist.

Eine Art "Martin Luther Superstar" hätte es wohl sein sollen, mit einer warmen Wah-Wah-Gitarre à la "Jesus Christ Superstar" zu Beginn. Dessen Palmsonntag wird nun zum Reichstag in Worms. Kajaphas wird zum Dominikanerpater Faber, Pilatus zu Kaiser Karl, und Maria Magdalena wird - da das Oratorium leider vor Luthers Begegnung mit Katharina von Bora spielt - zu Luthers fiktiven Schulfreundin Lara. Sie braucht man als weibliche Solo-Stimme in der männerdominierten Handlung. Lara ist übrigens eine Marketenderin, was auch der Prostituierten Maria Magdalena entspricht. Wo es dann in der Rockoper von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber noch hieß: "This Jesus must die" (in der deutschen Fassung: Dieser Jesus muss weg), erklingt bei Kunze und Falk: "Weg mit dem Mönch". Was fehlt, ist ein verzweifelter Judas Iskariot, dessen undankbare Rolle im Passionsspiel die Rockoper "Jesus Christ Superstar" erst spannend macht.

Die Schlageroper "Luther" betont dagegen nur, wie großartig der Ur-Protestant doch war, und wie wichtig seine Haltung heute noch ist. Statt in mittelalterlichen Kostümen agieren die Darsteller darum auch in modernen Klamotten, die mit Accessoires die vergegenwärtigten Rollen aus Luthers Biografie markieren. Ein goldenes Käppi anstelle der Kaiserkrone. Der Musik hingegen nimmt man nicht ab, dass die Wahrheit ein scharfes Schwert sei. Und Fragen wie die im Oratorium formulierte "Ist sein Lau-sein nur ein Schlau-sein?" wirft die Musik ebenfalls nicht auf. Stattdessen fordert sie erneut Luthers Bibelübersetzung: "Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde".

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