Love Parade 2006:Wenn die Anderen feiern

Ein Fitnessstudio-Besitzer ist jetzt mal Chef der Loveparade. Dem Gründer Dr. Motte passt das überhaupt nicht. Dennoch wird sich am Samstag auf der bis dato Fanmeile wieder das Fähnlein der letzten aufrechten Love-Paradisten sammeln. Die Liebe sei zurück, heißt es.

Dirk Peitz

Als der Vorhang fällt, steht da bloß ein Lastwagen, der vor sich hin blinkt. Ein gewöhnlicher LKW, mit Ausnahme der Ladefläche. Auf die ist ein Aufbau aus Stahlgerüst, Sperrholz und drumherum Plastikplanen montiert. Dahinter lagert die Technik, die Hochleistungsendstufen zum Beispiel. Eine Million Watt Lautstärke sollen sie angeblich erzeugen. Eine Million Watt, das sind ungefähr zehntausend Heimstereoanlagen. Am Samstag soll eine Million Menschen zu der Musik von 40 solcher LKW tanzen, in Berlin, auf der Straße des 17. Juni, wo zuletzt bald jeden Abend eine Million Menschen Fußball geschaut haben. Die Fanmeile wird abgebaut, jetzt sollen die Leute tanzen. So wie früher jedes Jahr im Juli.

Love Parade 2006: Die Fanmeile wird abgebaut, jetzt sollen die Leute wieder um Goldelse herum tanzen. So wie früher jedes Jahr im Juli.

Die Fanmeile wird abgebaut, jetzt sollen die Leute wieder um Goldelse herum tanzen. So wie früher jedes Jahr im Juli.

Auf der Plastikplane des Loveparade-Wagens steht groß: "The love is back - 15. Juli in Berlin." Man kann sich gar nicht daran erinnern, dass sie weg gewesen ist, die Liebe. Und die Loveparade. Das ist ja ihr Problem.

Es ist ein kühler Maitag, als die neuen Organisatoren der Loveparade in einer riesigen Halle auf dem Werksgelände des Büroartikelherstellers Herlitz weit draußen in Tegel eine Pressekonferenz abhalten. Nach zwei Sommern ohne Parade wird es wieder eine geben. Nun muss noch erklärt werden, warum es sie wieder gibt.

Der Grund dafür, dass es sie wieder gibt, sitzt an diesem Tag zwischen den recht weltbekannten DJs Westbam und Paul van Dyk vor dem Vorhang, der den Prototyp des Loveparade-Wagens zu Beginn noch verdeckt. Er heißt Rainer Schaller und ist völlig unbekannt. Schaller ist der neue Chef der Parade. Er ist der Mann, der eine Million Euro dafür bezahlt, dass am 15. Juli die Menschen wieder tanzen können, durch den Tiergarten zur Siegessäule. Schaller hält das zunächst mal für: ein gutes Investment.

Dass die Parade zwei Sommer lang ausgefallen ist, lag am Geld. Es war schnell knapp geworden, nachdem die Loveparade 2001 ihren Status als politische Demonstration verloren hatte und fortan als kommerzielle Veranstaltung galt. Die Organisatoren mussten plötzlich für alles zahlen, etwa für die Entsorgung des gigantischen Müllberges. Die Rücklagen aus den guten Zeiten waren bald aufgebraucht.

Wenn die Anderen feiern

Planetcom, die Firma, welche die Parade offiziell veranstaltete, war insolvent. Weder 2004 noch 2005 fanden sich genug Sponsoren, um die Kosten zu decken. Die Loveparade schien tot, und Techno als Massenspektakel irgendwie auch. Bis Rainer Schaller kam. Im November 2005 nahm er Kontakt zu den fünf Gesellschaftern der alten Loveparade-Firma auf, im Januar war Schaller der sechste Gesellschafter, aber der geschäftsführende. Er brachte frisches Geld. Dafür bekam er die Macht über die Marke Loveparade.

Schaller ist Besitzer der Fitnessstudiokette McFit, die mehr als 60 Filialen in Deutschland unterhält. 15,90 Monatsbeitrag, unschlagbar billig, die Studios sind rund um die Uhr geöffnet. Dafür muss man fürs Duschen Münzen mitbringen. Alle paar Wochen eröffnet irgendwo ein neues McFit. Schaller will weiter expandieren, auch ins Ausland. Die Loveparade, auf der McFit nun als Hauptsponsor auftritt, soll dabei helfen, sie soll den Namen McFit über die Grenzen Deutschlands bekannt machen. Mehr erstmal nicht. Von Musik und Clubkultur hat Schaller, das gibt er offen zu, wenig Ahnung. Aber von Zielgruppen: Fitte Körper und Raven, das passte zumindest früher zusammen.

Bei der Pressekonferenz redet vor allem Schaller. Westbam, der die offizielle Hymne produziert hat, sagt gar nichts. Paul van Dyk, der wie Westbam auflegen wird bei der Abschlussparty an der Siegessäule, sagt nur ein paar Sätze. Schaller und sein stellvertretender Geschäftsführer Maué sagen, dass die 40 Paradewagen jetzt von der Loveparade gebaut, zentral vermarktet und mit Sponsorenbannern ausgestattet werden, nicht wie früher von den Clubs, die mit ihren selbst geschmückten Trucks über die Straße des 17. Juni fuhren. Das war ein bisschen wie Karneval, Techno-Karneval eben. Rainer Schaller mag weder das Wort Karneval, noch das Wort Techno. Er redet lieber von "Event". Und von "elektronischer Tanzmusik", das meint alle Spielarten von Tanzmusik. Schaller ahnt wohl, wie tot das Wort Techno mittlerweile klingt. In den Musikcharts zum Beispiel kommt es gar nicht mehr vor.

Ein paar Wochen nach der Pressekonferenz sitzen Schaller und Maué entspannt in Schallers Berliner Loveparade-Büro. Die Einrichtung ist funktional statt repräsentativ, so wie das Bürogebäude selbst, in dem die Loveparade-Gesellschaften nun alle untergebracht sind. Hip ist anders. Der etwas runtergerockte Bau steht in einer trostloseren Kreuzberger Ecke, Nähe Möckernbrücke.

Man muss sich Rainer Schaller wie einen typischen mittelständischen Unternehmer vorstellen. Er redet wie die, die man immer in Talkshows sitzen sieht, er wiederholt mit störrischer Begeisterung all die Neuheiten, die sie sich haben einfallen lassen für die Loveparade, "New-Talent-Stages", "Undergroundfloors", "Chill-Out-Areas", "Love Guards", es gibt mehr Sicherheit, mehr Dixi-Klos, bessere Sound-Anlagen als früher. Nur eine Rede, wie es sie früher gab: Die wird es nicht geben.

Rainer Schaller schaut bloß nicht aus wie die mittelständischen Unternehmer aus dem Fernsehen. Sein Haupt ist kahlrasiert, unter dem Businesshemd, das er zur Jeans trägt, zeichnet sich ein muskulöser Oberkörper ab, er scheint ein guter Kunde seiner Firma zu sein. Schaller, 37 Jahre alt, sieht ein bisschen aus wie Meister Propper und das Signet von McFit, eine lachende Banane mit Beinchen und Ärmchen, wie das Bonduelle-Gemüse früher in der Werbung. Schaller ist ein Selfmademan, er hat bei Edeka Einzelhandelskaufmann gelernt, und bei Edeka hat er auch das Aldi-Prinzip begriffen: Hauptsache billig. Er hat dieses Prinzip lediglich auf die Fitnessindustrie übertragen. Total simpel. Aber ihm ist es eingefallen.

Der, der früher die Rede gehalten hat bei der Loveparade, sitzt Ende Juni auf seiner Kreuzberger Dachterrasse, der Blick ist fantastisch, Richtung Nordwesten muss irgendwo hinter dem Häusermeer der Tiergarten sein. Es sind nur drei U-Bahn-Stationen von der Haltestelle Möckernbrücke und dem neuen Loveparade-Büro bis hierher, aber Dr. Motte hat die U7 dahin schon länger nicht mehr benutzt. Dr. Motte, einer der fünf anderen Loveparade-Gesellschafter, der Erfinder der Parade und früher deren Symbolfigur, manche sagen spöttisch auch das Maskottchen: Motte ist abgemeldet.

Nun sitzt er an einem grandiosen Sommerabend hier vor seinem sensationellen Loft, das er sich vor Jahren oben auf einen Kreuzberger Altbau hat setzen lassen und das sogar mal für einen dieser Fotobände über coole Berliner Interieurs fotografiert wurde. Motte, bürgerlich Matthias Roeingh, das ist auch so eine Selfmademan-Geschichte: Betonbauer hat er mal gelernt, dann hatte er diese Idee, die er "kosmische Eingebung" nennt. Eine Techno-Parade. Beim ersten Mal zogen 1989 gerade mal 150 Leute mit, 1999 waren es 1,5 Millionen. Nun will Motte reden. Man könnte auch sagen: Er will sich auskotzen.

Motte fühlt sich übervorteilt von Schaller, ausgebootet, seine Ideen sind nicht mehr gefragt. Schallers neues Sponsorenkonzept aber basiere auf einem, dass er selbst vor zwei Jahren schon entwickelt habe. Schaller verrate nun die Inhalte, für die Motte immer stehen wollte, als Person und als Redner bei der Abschlusskundgebung. Motte hängt an dem Überbau, den er sich für die Loveparade ausgedacht hat: Techno als Völkerverständigung, Musik als Friedensbotschaft.

Motte klingt auf seiner Dachterrasse manchmal so leicht entrückt wie bei seinen Paradereden früher, er spricht von Toleranz und Respekt als den Zielen der Loveparade. Auf seinem Camouflage-T-Shirt steht in dicken roten Lettern: "Frieden".

"Herr Schaller", so nennt ihn Motte immerzu, mache nun aus einer Techno-Parade eine "breitgefächerte Electronic-Dance-Parade", aus "der größten Friedensdemonstration der Jugend der Welt" ein schnödes PR-Tool für seine Fitnesskette, eine "Marketingmaschine für den Hauptsponsor". Dafür, sagt Dr, Motte, stehe er nicht zur Verfügung. Doch er wird ja gar nicht mehr gefragt, und tatsächlich hat Schaller etwas geschafft, was den Leuten um Motte früher selten gelungen ist: eine geräuschlose Vorbereitung, ohne finanzielle Probleme, ohne Probleme mit der Stadt Berlin.

Der Alte und der Neue bei der Loveparade, sie haben sich nichts zu sagen. Dabei ähneln sich ihre Erfolgsgeschichten so verblüffend. Am Samstag wird Rainer Schaller seine zweite Loveparade erleben, er war 1998 mal da, es hat ihm gefallen. Dr. Motte wird nicht dasein. Nicht an der Siegessäule, nicht in Berlin. Wo er sein wird, das will er nicht verraten.

Weshalb es die Loveparade wieder geben soll, das kann eigentlich keiner von beiden erklären. Vielleicht darf man einfach nicht danach fragen.

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