Lou Reed und das Urheberrecht:Dieses Video ist nicht verfügbar

Will die Gema Künstler vor sich selber schützen? Diese möchten, dass ihre Werke rezipiert werden, doch die Urheberrechts-Bereicherungs-Industrie verwehrt es ihnen. Jüngstes Beispiel: Lou Reed auf Facebook.

Bernd Graff

Lou Reed ist auf Facebook. Jaha. Warum soll er auch nicht auf Facebook sein? Viele Künstler sind auf Facebook, warum also nicht auch der Meister? Und ja, er macht da ein bisschen Promotion für seine jüngste Zusammenarbeit mit Metallica, für Lou Reed-Earphones, und das mittlerweile zu oft gesehene Stefan-Sagmeister-Porträt von ihm. Das ist ok, das soll er machen, auch machen dürfen. Denn Lou Reed macht daneben noch Dinge, die eben nicht alle Künstler auf Facebook machen. Er öffnet zum Beispiel sein privates Foto-Album, das unter anderem wenig schmeichelhafte, ja lächerliche Fotos des Meisters zeigt. Das hier - gelangweilt, bisschen stupide dreinblickend auch, mit Gefährtin Laurie Anderson und Hund - hat uns am besten gefallen, auch wegen der Bildunterschrift "Entertain me!":

Lou Reed und das Urheberrecht: Lou Reed mit Gefährtin Laurie Anderson bei Facebook: "Entertain me!"

Lou Reed mit Gefährtin Laurie Anderson bei Facebook: "Entertain me!"

(Foto: Screenshot)

Nun gut.

Lou Reed öffnet aber auf Facebook auch seine Archive: Man sieht Fotos aus seiner Zeit mit Andy Warhol, man sieht Weggefährten, man sieht Vorbilder.

Dazu noch: Lou Reed stellt seine Songs zur Verfügung. ER SELBER VERLINKT AUF SEINE SONGS. Auf dass man sie höre, wiederhörte, neu entdecke. Etwa, auf diesen Klassiker: Gimmie Some Good Times aus seinem Album Street Hassle.

Der Vollständigkeit halber: Sein Facebook-Eintrag ist hier.

Gottes Ermächtigung fürs Musik Ausschalten

Wenn man nun mit einer als deutsche identifizierbaren IP-Adresse auf den VON LOU REED SELBER zur Verfügung gestellten Link klickt, passiert das:

Lou Reed und das Urheberrecht: "In Deutschland nicht verfügbar:" Was reitet die deutsche Gema, sich derart unverschämt zwischen den Künstler, sein Werk und sein Publikum zu stellen?

"In Deutschland nicht verfügbar:" Was reitet die deutsche Gema, sich derart unverschämt zwischen den Künstler, sein Werk und sein Publikum zu stellen?

(Foto: Screenshot)

Es ist zum Weinen! Der Künstler möchte, dass man einen irgendwie ganz netten, frühloureedtypischen Song aus dem Jahr 1978 wiederhört, und die deutsche GEMA hat die Rechte daran nicht eingeräumt. Das Lied ist kein Smash-Hit, der irgendwo in der heavy rotation liefe. Es war auch nie einer. Es ist fast 34 Jahre alt. Das Album Street Hassle, auf dem es sich befindet, soviel nur noch dazu, rangiert auf der Amazon-Verkaufsliste auf Rang "#201,524 in Music", ist also wahrlich auch kein Bestseller, auch nicht für eine Platte aus dem Jahr 1978. Stained Class von Judas Priest aus dem selben Jahr rangiert auf Platz #4,176.

Nun sind Internetnutzer im Jahr 2011 auch nicht blöd. Auch nicht, wenn sie aus Deutschland stammen und man irgendwas für sie nicht verfügbar macht. Wenn - jaha, auch in Deutschland - man die URL des verhinderten Lou-Reed-Songs bei Hidemyass.com eingibt, passiert das: Man hört das Lied, von dem Lou Reed, publiziert über das größte soziale Netzwerk der Welt, wollte, dass es die Welt noch einmal hört. Hier ist es - für alle in Deutschland, die angeblich keine Verfügbarkeit dulden müssen.

Nun ergibt sich also folgender Befund, während Sie vermutlich das Lied hören, das in Deutschland nicht verfügbar ist, es aber doch hören, weil es natürlich auch in Deutschland verfügbar ist. Wenn also Lou Reed sein Werk der Welt zur Verfügung stellt, damit diese es NUR höre, dann stellt er es der Welt zur Verfügung. Denn anders macht Internet keinen Sinn. Anders dürfte man wohl auch das lustige Privatbild mit Hund und Laurie nicht sehen, weil es mutmaßlich wohl auch irgendwelche Copyrights verletzt. Das scheint nicht der Fall, denn sonst wäre es in Deutschland wohl nicht verfügbar. Ist es aber, weil es im Internet publiziert wurde.

Und anders funktioniert Internet auch gar nicht. Lou Reed sitzt nicht in Deutschland, um seine Facebook-Seite zu betreiben oder betreiben zu lassen, ganz egal, er sitzt irgendwo, an einem Ort mit Internet-Anschluss, um sie zu betreiben - oder eben betreiben zu lassen, was aber egal ist. Jedenfalls kann man sie in Deutschland wahrnehmen. Auf dieser in Deutschland wahrnehmbaren Seite sind Links zu eben Lou Reeds Musik gepostet, die offenbar in der Welt zu Musik führen, in Deutschland in eine GEMA-Diaspora. Die offenbar stärker sein will als der Wille des Künstlers. Will die Gema Lou Reed also vor sich selber schützen? Wer, bitte, ist dann die Gema: Gottes Ermächtigung fürs Musik Ausschalten?

Da aber auch Deutschland das Internet kennt, kann man dem Link Lou Reeds auch hier folgen, wenn man einen Klickstopp zwischenschiebt - und siehe, dieselbe URL führt zum Ziel. Man anonymisiert lediglich seine Herkunfts-IP.

Das aber heißt: Entweder ist Lou Reed nicht im Besitz der Rechte an seinem Werk, was erstaunlich ist bei einem Werk, das nunmehr 33 Jahre alt ist und - wie der Verkaufsrang zeigt - wohl auch längst in Vergessenheit geraten ist. Also wohl kaum Verkäufe verhindert, wenn musikalisch daran erinnert wird. Wenn er aber nicht im Besitz der Rechte an seinem Werk ist, begeht er dann eine Straftat, wenn er auf sein EIGENES Werk verlinkt. Wann verjähren eigentlich GEMA-Übergriffigkeiten? Das war eine rhetorische Frage.

Nichts anderes als eine musikalische Erinnerung

Oder aber ist Lou Reed im Besitz der Rechte? Was anzunehmen ist, denn darum wird er sein Lied ja auch verlinken dürfen. Über Facebook, das größte Sozialnetzwerk der Welt. Was mischt sich die GEMA denn dann da ein, wenn der Künstler mit seinem Publikum kommunizieren will. Denn nichts anderes ist es: Ein Hinweis auf das, was mal gewesen ist, eine musikalische Erinnerung.

Was reitet also die deutsche Gema, sich derart unverschämt zwischen den Künstler, sein Werk und sein Publikum zu stellen? Warum grätscht sie ebenso so autoritär wie sinnlos in diese Ansprache, diesen Hörvorschlag, den man ja doch auch in Deutschland annehmen kann, wenn man nur verbirgt, dass man ein Zuhörer aus Deutschland, resp. Gema-County ist? Eine Rechte-Provinz aus dem vorigen Jahrhundert. Ich würde sogar so weit gehen, aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zu sagen.

Und: Große Frage jetzt, welche Rechte sind denn nun verletzt, wenn man auch in Deutschland ein Lied hört, das die ganze Welt hört, nur eben Deutschland nicht hören soll, weil es Gema-County ist? Denn die Seite Hidemyass.com zeigt ja nicht irgendeine obskure chinesische Piraten-Illegal-Seite an, sondern eben genau die Youtube-Seite, die die Welt sehen kann, wenn die Welt nicht Deutschland ist. Was also, um es harsch zu sagen, ist illegal daran, in Deutschland Teil der Welt zu sein?

Wie gesagt: Es geht nicht um den Aufruf zu illegalem Download und das Verletzen von Künstlerrechten. Dafür kann man nicht sein und dagegen muss man vorgehen. Es geht um diesen besonderen Fall: Ein Künstler bietet sein eigenes dreiunddreißigjähriges Lied zum Wiederhören, zum HÖREN, nicht zum Download an. Alle Welt kann diesen Vorschlag annehmen, nur nicht Deutschland, weil man hier Rechte verletzt sieht, die der doch eigentlich mutmaßlich geschädigte Künstler selber nicht verletzt sieht, sonst würde er sein Lied nicht posten. Verletzt sind sie nur nach deutschem GEMA-Irrsinn. Too bad, Lou! Du hast vermutlich vergessen, dass das Internet auch vor Deutschland nicht automatisch Halt macht. Und jetzt macht sich irgendwer strafbar, vermutlich.

Wessen Rechte sind das dann aber? Gemas eigene? Sind die mehr wert als die des Urhebers? Und: Ist Anonymisierung strafbar, wenn man damit erreichen kann, dass man wieder Anschluss an die Welt erhält? Man begreift es nicht, man muss fürchten, die Gema hat das Internet nicht begriffen. Alles nur einen Klick weit entfernt und so weiter. Gema, was soll das? Wer hilft der Gema mal aufs Fahrrad?

Gema-Sprecherin Bettina Müller hat zur Causa folgendermaßen Stellung genommen:

"Seit Sommer 2011 erscheint bei zahlreichen blockierten Videos auf YouTube ein irreführender Hinweis - wie auch im Fall des von Ihnen thematisierten Lou-Reed-Songs - der nahe legt, dass allein die Gema für die Sperrung verantwortlich sei, da sie die Nutzungsrechte nicht eingeräumt habe. Hier bleibt jedoch klarzustellen, dass die Gema nach deutschem Gesetz verpflichtet ist, YouTube, wie jedem anderen Lizenznehmer auch, die Nutzungsrechte einzuräumen. YouTube lenkt durch die Einblendung von der Tatsache ab, dass das Unternehmen diese Rechte schlicht noch nicht erworben hat.

Es ist uns als Gema ebenfalls ein großer Wunsch - im Interesse unserer Mitglieder - baldmöglichst eine Einigung zu erzielen. Solange diese Einigung nicht vorliegt, bekommen die Urheber kein Geld von YouTube für die Nutzung ihres geistigen Eigentums."

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