Loriot wird 85 Jahre:Meine Frau hopst, wo sie will

Loriot feiert 85. Geburtstag: Eine Würdigung des noch immer einzig ernstzunehmenden deutschen Fernsehkomikers Vicco von Bülow.

Martin Zips

Nehmen wir "Yesterday" von den Beatles, "Für Elise" von Ludwig van Beethoven oder "New York, New York" von Fred Ebb und John Kander. Wunderbare Stücke sind das, Meisterwerke ihrer Genres. Aber was ist mit ihnen passiert?

Loriot wird 85 Jahre: Junge Komiker - so Kaya Yanar kürzlich in einem Interview - kriegen "das Kotzen", wenn sie mit Loriot verglichen werden. Gleichwohl gilt die humoristische Arbeit Vicco von Bülows noch immer als unerreicht. Im Berliner Filmmuseum ist derzeit eine schöne Loriot-Ausstellung zu sehen.

Junge Komiker - so Kaya Yanar kürzlich in einem Interview - kriegen "das Kotzen", wenn sie mit Loriot verglichen werden. Gleichwohl gilt die humoristische Arbeit Vicco von Bülows noch immer als unerreicht. Im Berliner Filmmuseum ist derzeit eine schöne Loriot-Ausstellung zu sehen.

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Der kleine Büroangestellte hat sie in seine Telefon-Warteschleife gepackt, mit ihnen sämtliche Hotelaufzüge und Supermärkte der Welt beschallt und für Dosengemüse und Lebensversicherungen geworben. Doch nichts ist schädlicher für große Kunst als ihre inflationäre Verwurstung. Man denke nur an van Gogh und seine allgegenwärtigen Sonnenblumen.

Die Nudel

Wenn man die Wörter "Kosakenzipfel", "Jodeldiplom" oder "Herrenboutique" hört - Schöpfungen des an diesem Mittwoch 85 Jahre alt werdenden Komikgenies Loriot - so möchte man diese Wörter am liebsten sofort einsammeln und in einem sehr, sehr weich gepolsterten Korb an einem geheimen Ort verstecken.

Damit sie sich dort wenigstens für ein paar Tage von ihrer zuletzt starken Beanspruchung durch Gemeinderatspolitiker und Hochzeitsredenschreiber erholen mögen. Gleiches gilt für zahlreiche weitere Kreationen des noch immer einzig ernstzunehmenden deutschen Fernsehkomikers Loriot:

Die Nudel, die im Gesicht des Tischpartners eine tiefgehende Konversation unmöglich macht; Ausrufe wie "Ein Klavier, ein Klavier!" oder der Satz "Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann"; die ständigen Wiederholungen, die drittklassigen Theater-Darbietungen von "Loriots dramatischen Werken" auf Betriebsfeiern und Festen des Kegelclubs sowie die Vermarktung etwa der "Herren im Bad" als Schlüsselanhänger (2,95 Euro) oder Zimmerbrunnen aus polymerer Kunstbronze (1480 Euro) drohen seine Kunst gewöhnlich zumachen.

"Schmeckt's?"

Doch zeigt Loriots Allgegenwärtigkeit nicht auch die immense Liebe der Deutschen zu einem Mann, dessen perfekte Pointen und feinsinnig gesponnenen Dialoge einen schon als Kind begeisterten - und die meist heute noch funktionieren?

An dieser Stelle ergreift der Kulturstaatsminister das Wort: "Nur wenigen ist es vergönnt, mit ihren Werken auf Dauer in den deutschen Zitatenschatz einzugehen", schreibt Bernd Neumann in seinem Geburtstagsbrief an Vicco von Bülow: "Schiller ist es mit seinem ,Wilhelm Tell' gelungen, Sie haben es mit Herrn Müller-Lüdenscheidt und Opa Hoppenstedt geschafft, mit dem ,Jodeldiplom' oder der ,Herrenboutique in Wuppertal'."

Hat dieser Mann nicht Recht? Was früher mal der Deutsche Michel war, ist heute das Knollennasenmännchen. Der Dackel wurde von der Steinlaus abgelöst. Die Frage "Schmeckt's?" kann seit Loriots Restaurant-Sketch nicht mehr ironiefrei gestellt werden. Und wer heute Ende 30 ist und eine Bettenabteilung besucht, ohne an das Wort "Spannmuffenfederung" zu denken, der muss die entscheidenden Loriot-Jahre auf einem Sofa verpennt haben, auf dem Evelyn Hamann niemals saß.

Das rätselhafte Gesellschaftsphänomen Mario Barth

Noch verfügt Loriot im Zitate-Duden nur über wenige Einträge, Schiller hat mehr als 500. Doch folgt man der Logik des Kulturministers, so könnte sich das ändern. Oder doch nicht? Wer als Jugendlicher dieser Tage seine Freizeit damit verbringt, mit 70.000 anderen Lachwilligen im Berliner Olympiastadion das rätselhafte Gesellschaftsphänomen Mario Barth zu bejubeln, der denkt beim Wort Möpse sicher an alles mögliche - nur nicht an einen in Münsing lebenden Hundebesitzer preußischer Provenienz. Aber gut. Meine Frau hopst, wo sie will, heißt es. Bei Loriot natürlich.

Man kommt an ihm nicht vorbei. Egal, ob im Büro, beim Betrachten alltäglicher Situationen auf der Straße oder während einer dieser Ehekrisen ("Berta, das Ei ist hart", "Du willst es doch immer viereinhalb Minuten"). Loriot gehört dazu wie der Tristanakkord zu Wagner oder "Yesterday" zur Abi-Feier. Er bleibt eine Art Wegweiser, ein Leitmotiv. Jemand, bei dem man sich - achwas?! - einfach nur bedanken kann. Bitte, liebe Knollennasenmännchen, stellt ihn unter Artenschutz.

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