"Live Aid" auf DVD:Rührend und auch ein bisschen geschüttelt

"Live Aid", das erste Charity-Weltereignis, sang in richtig großem Stil an gegen die Not Afrikas. Die Kinder in Äthiopien konnten davon aber nichts sehen. Sie hatten ja nicht einmal genug zu essen, und für einen Fernseher war kein Strom da. Für den Rest der Welt gibt es die beiden Konzerte noch einmal auf DVD.

WILLI WINKLER

Wer sich im britischen Kolonialreich bewähren wollte, ging nach Afrika. Cecil Rhodes machte da Karriere und der Journalist Henry Morgan Stanley kam groß heraus, als er mit großem Zeitungstamtam nach seinem Dr. Livingstone suchte. Das Kolonialreich verging, Afrika bestand weiter, wenn auch nur als Elendsland. Später kam Leni Riefenstahl und fand die Nuba, und noch Sabine Christiansen wusste den Verschönerungseffekt zu nutzen, den ein Hintergrund aus leidender schwarzer Haut bietet.

"Live Aid" auf DVD: So voll das Haar, so gut der Zweck: Herr Geldorf (l), Herr Sting und in der Mitte - Who is who? - der Daltrey Roger. Und hinter Geldorf? Nein, das ist nicht Tracy Chapman.

So voll das Haar, so gut der Zweck: Herr Geldorf (l), Herr Sting und in der Mitte - Who is who? - der Daltrey Roger. Und hinter Geldorf? Nein, das ist nicht Tracy Chapman.

Vor zwanzig Jahren sah Bob Geldof im Fernsehen, dass die Leute in Afrika hungerten und beschloss, etwas dagegen zu unternehmen. Er organisierte am 13. Juli 1985 ein Doppelkonzert in London und Philadelphia, das gleichzeitig um die ganze Welt versendet wurde, so dass angeblich eineinhalb Milliarden Menschen zuschauen konnten, wie David Bowie, Mick Jagger und leider auch Bob Dylan sich mit viel Ausdruck im Gesicht um so elaborierte Zeilen wie "It's a choice we're making" rangen. Die Kinder in Äthiopien konnten zum Glück dieses abschließende Tableau nicht sehen, sie hatten ja nicht einmal genug zu essen, und für einen Fernseher war kein Strom da.

Der nachchristliche Grundsatz "Tue Gutes und rede so lang darüber, bis es keiner mehr hören kann" hat nicht bloß die so genannten "Charity Ladies" vor Kummer erblonden lassen, sondern in dem einen oder anderen Fall sogar vorübergehend Linderung des Elends gebracht. Das von Bob Geldof organisierte Weltereignis Live Aid, dem auch eine auffallend schlanke Prinzessin von Wales nebst Gatten beiwohnte, erbrachte 140 Millionen Dollar, die in Saatgut, Milchpulver, Medikamente, Krankenhäuser, Lastwagen und Brunnenanlagen umgesetzt wurden. Das war wenigstens ein Tropfen in den heißen Sand und mehr, als politische Rücksichten sonst zugelassen hätten. Aus Bob Geldof, dem leidlichen Sänger der Boomtown Rats, wurde Sir Bob, der mit den Großen dieser Welt über den Hunger in dieser Welt konferiert. Für Afrika hat sich in den Jahren seither wenig geändert, nur dass die Leute dort nicht mehr nur am Hunger, sondern auch noch an Aids sterben, wenn sie sich nicht vor den Augen der Nachrichtenkameras gegenseitig umbringen.

Live Aid war trotzdem ein großes Konzert, schon allein weil so viele Musiker zusammenkamen. Es erreichte seinen megalomanen Höhepunkt, als der 1985 noch behaarte Sänger Phil Collins die Bühne in London lausbubenhaft quer gestreift verlässt, zu einer wartenden Concorde gefahren wird und schneller als der Schall nach Philadelphia fliegt, um dort in einem ordentlichen Sakko am selben Tag ein zweites Mal aufzutreten. Das hatte die Welt noch nicht gesehen und wird es auch nicht mehr vergessen.

Auf der DVD, die heute erscheint, hat sich die technische Qualität der Musik gegenüber dem Live-Auftritt stark verbessert. Da aber das Auge noch bei der bestgemeinten Musik mitisst, lässt sich ein gar nicht mal leiser Schrecken über dieses wundersame bikontinentale Ereignis nicht verhehlen: Was waren sie damals noch alle jung! Und schlecht angezogen, dünn und vor allem -- diese Frisuren! Das war solider Puhdys-Standard, aber andererseits standen der DDR damals auch noch ein paar Jahre Verwesung bevor. Viele sind gestorben seither: Freddie Mercury, John Entwistle, der Veranstalter Bill Graham, die Prinzessin von Wales, und die Concorde fliegt auch nicht mehr. Diese Aufnahme ist ein Souvenir aus einer erstaunlich ferngerückten Welt: Mick Jagger war kaum 42, Bette Midler noch rosig, Jack Nicholson diabolisch. Madonna war ein hübsches, etwas kräftiges Mädchen, das sich grad die Schleifchen im Haar abgeschnitten hatte.

Die Sängerin Joan Baez grüßt aus den menschheitsbewegten Sechzigern herüber und sagt den Zuschauern, was sie hören wollten: "Das ist euer Woodstock." Ist es natürlich nicht, aber sie verkündet den Wunderglauben, dass sich allein durch guten Willen etwas verändern ließe in der kalten Welt. Drei ältere Herren erscheinen, sie haben Mühe, sich abzustimmen, aber endlich finden die Stimmen doch zusammen. Sie singen die alte Hippie-Hymne "Teach Your Children", und ein paar Tausend draußen im J.F.K. Stadium in Philadelphia singen mit, dass nur die Kinder und die rechte Erziehung hülfen, die Hölle doch allmählich zu vergessen. Die älteren Herren sind Crosby, Stills & Nash, und sie erhalten die kleine Utopie, die in der Popmusik immer noch gilt: dass die Musik, und sei's für drei Minuten, der Liebe und auch der Hoffnung Nahrung sei. Sogar in Afrika.

SZ v. 08.11.2004

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