Little Britain:Zwischen den Jahreszeiten

Grau in grau
(Foto: dpa)

Grau, nass und kalt sind die wichtigsten Worte, um das britische Wetter zu beschreiben. Jetzt fällt sogar die fünfte Jahreszeit aus. Das treibt die Mücken in den Tod und unseren Kolumnisten dazu, sich ganz klein zu machen.

Von Christian Zaschke, London

Üblicherweise kommt zwischen Sommer und Herbst das, was der stets großartige Kurt Tucholsky als "Fünfte Jahreszeit" beschrieben hat: "Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen." Es sind immer nur ein paar Tage, und sie sind erhaben.

In diesem Jahr aber hat sich der britische Sommer dazu entschlossen, übergangslos zum Herbst zu werden. Innerhalb von 24 Stunden sank die Temperatur um 15 Grad, ein großer Wind hob an, aus den Himmeln fiel ein Ozean. Die Mücken begaben sich vor Schreck gesammelt und umgehend in die Hände des Todes. Der britische Sommer war ausnahmsweise wirklich mal sehr groß. Nun ist es nass und kalt und grau, und es wird lange so bleiben.

Es gibt Menschen, die behaupten, dass es kein schlechtes Wetter gäbe, sondern nur schlechte Kleidung. Als ich ein junger, zorniger Mann war, der an der Küste lebte, habe ich Verfechter dieser These, die übrigens mit einiger Vorliebe raschelnde Funktionskleidung im Partnerlook tragen, regelmäßig ermahnt, sie sollten nicht so einen hirnverbrannten Scheißdreck verbreiten und sich bitte schnellstmöglich nach draußen in den waagerecht fliegenden Eisregen verfügen. Das ist mir heute noch peinlich, da ich mich als mittelalter Sack im Londoner Nassherbst, aber zugleich im Sommer meines Lebens befinde und auf solcherlei Thesen mit einem gütigen Lächeln reagiere, wie es selbst der Dalai Lama nur sehr ausnahmsweise hinkriegt.

Tief im Inneren muss ich wohl geahnt haben, was kommen würde. Vielleicht hat auch geholfen, dass ich den BBC-Wetterbericht mit religiösem Eifer verfolge. Jedenfalls schlenderte ich am vergangenen Wochenende im genau richtigen Moment rüber zur Autovermietung, die auf einem von Verkehr umtosten Eiland liegt. Dort mietete ich den letzten verfügbaren Wagen. Es war ein Peugeot 107, der einen Tick kleiner ist als eine halbe Badewanne. Ich schob den Fahrersitz bis in den Kofferraum, faltete mich unter den prüfenden Blicken des graugerauchten Autovermietungsmannes fakirhaft in den Wagen und verlieh auf diese Weise dem Ausdruck "passt wie angegossen" eine völlig neue Dimension.

Dann trat ich das Gaspedal bis zum Boden durch, bis ich Suffolk und das Meer erreichte. In den letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres stapfte ich so lange den leise knirschenden Kieselstrand an der kabbeligen Nordsee entlang, bis ich die Farbe eines frisch gekochten Hummers angenommen hatte. Erst dann fuhr ich zurück nach London.

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