Little Britain:Wabernde Wolken

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Kürzlich haben britische Ärzte noch geraucht, in eigenen Raucherräumen direkt neben dem OP. Heute sind sie sehr vernünftig - kein Wunder, behandeln sie in London wohl mehr Herzinfarkte als Prellungen. Doch nun fallen andere Gerüche auf.

Christian Zaschke, London

Das Roebuck ist ein gemütlicher Pub. Sie haben hinten raus einen schönen Garten, ein wenig bewachsen, ruhig. Es gibt auch drei Tische an der Straße. Die sind allerdings nicht so zu empfehlen, es sei denn, man steht auf Sirenen oder raucht. Gegenüber ist die Herzinfarkt-Notaufnahme des Krankenhauses. Ein Herzinfarkt ist in London ungefähr so häufig wie in anderen Städten eine leichte Prellung. Die Krankenwagen rauschen beständig herein, Menschen auf Tragen werden aus dem Fond gerissen und in das unendliche Innere des finsteren Gebäudes geschoben. Ich glaubte lange nicht, dass irgendwer vor dem Roebuck sitzen kann, ohne fortwährend an seinen Blutdruck zu denken. Bis mir auffiel, dass die, die vor dem Roebuck sitzen, offenbar im Krankenhaus arbeiten. Sie schauen auf ein Schnelles vorbei, und der Anblick von Menschen, die auf Tragen in einen finsteren Bau geschoben werden, kann sie nicht schrecken.

In britischen Pubs herrscht bereits seit 2006 ein striktes Rauchverbot. Gleichzeitig mussten auch die Raucherräume aus den Krankenhäusern des Königreichs verschwinden. (Foto: dpa/dpaweb)

Früher rauchten alle Ärzte, die ich kannte. In dem Krankenhaus, in dem ich eine Weile gearbeitet habe, gab es einen Raucherraum in der Notaufnahme und einen vor der OP-Schleuse. Wann immer die Ärzte nicht gerade jemanden zusammenflickten, rauchten sie und tranken dazu Unmengen Kaffee mit Milch, aber ohne Zucker.

Zucker bringt dich um, sagten die rauchenden Ärzte. Ich glaubte jedes Wort. Heute sind Ärzte alle sehr vernünftig, und spätestens seit man in Kneipen nicht mehr rauchen darf, haben sie auch vor den OPs die Raucherräume abgeschafft.

In dieser Woche saß ich zum ersten Mal mit einem Freund vor dem Roebuck an der Straße, weil der Garten hinten gerade mit einem Hochdruckreiniger ausgespritzt wurde. Wir lauschten den Sirenen und dachten an unseren jeweiligen Blutdruck, während wir ein Schnelles nahmen. Ich holte das zweite Schnelle von der Bar, als mir der Geruch auffiel: Eine schwitzende Gruppe von Geschäftsleuten hatte sich der Sakkos entledigt.

Die Geschäftsleute tranken geschätzt das fünfte Schnelle und sahen alle aus wie dieser gestresste Typ Geschäftsmann, der seinen Kaffee mit zu viel Zucker trinkt und schon bald aus dem Fond eines Krankenwagens gerissen wird, um in das unendliche Innere eines finsteren Krankenhauses geschoben zu werden. Immerhin: Sie rauchten nicht, denn Rauchen war drinnen verboten.

Ich trug die beiden Biere durch die wabernde Schweißwolke nach draußen. Als ich mir zum Sirenenklang in Erinnerung an die Ärzte von einst eine Zigarette anzündete, gelang es mir kurz, sehr bewusst nicht an meinen Blutdruck zu denken.

© SZ vom 28.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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