Little Britain:Mein Freund, der Bombenentschärfer

AFGHAN-LAND-MINES-CLEARANCE

Gelernt ist gelernt: Wer Mutproben bei der schottischen Post gemeistert hat, kann auch Bomben in Afghanistan entschärfen.

(Foto: AFP)

Was wären wir ohne das Internet? Wir würden noch nicht einmal merken, dass die mutigsten Menschen, denen wir im Laufe unseres langen Lebens an irgendeinem Punkt begegnet sind, nicht nur Aufschneider waren.

Von Christian Zaschke, London

Nachdem ich frühmorgens das Internet angeworfen hatte, ging ich, während es sich allmählich warmlief, in die Küche, um Kaffee zu kochen. In meinem Lieblingssender Radio 4 lief ein Beitrag über Schottland, weshalb ich plötzlich an Iain M. denken musste. Mit dem habe ich in den Neunzigerjahren eine Weile in Edinburgh zusammengewohnt, und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass er mir fast mein komplettes Englisch beigebracht hat. Zumindest den nützlichen Teil.

Leider hatte ich damals zunächst keine eigene Wohnung. Es war mir durchgerutscht, mich vor meiner Ankunft darum zu kümmern. Deshalb wohnte ich eine Weile in Iains WG, wo ich erst mit einem fusselbärtigen Ostdeutschen ein Acht-Quadratmeter-Zimmer teilte, dann mit einem Westküsten-Amerikaner, der zu jeder Tageszeit Songs der Rock-Combo Rage against the Machine etwas über Zimmerlautstärke abspielte.

Aufgrund der beengten Verhältnisse hielt ich mich lediglich sieben Stunden pro Tag in der Wohnung auf. In diesen sieben Stunden schlief ich. Frühmorgens rollte ich die Isomatte ein, knüllte den Schlafsack zusammen und ging in die Uni, wo ich bis abends blieb. Auch wochenends. Anschließend ging ich mit Iain ins "Drouthy Neebors", was übersetzt "durstige Nachbarn" heißt und eine Anspielung ist auf Robert Burns' 1-a-Gedicht "Tam o'Shanter", in dem es unter anderem um alkoholische Getränke, tanzende Hexen und einen Teufel geht, der ganz gut Dudelsack spielt, also mehr oder weniger um einen normalen Abend in einem schottischen Pub.

Iain hatte zuvor als Postbote gearbeitet und probierte sich jetzt als Student. Jeden zweiten Abend unterhielt er den gesamten Pub mit der Geschichte, wie die Postler ein Paket für einen älteren Mann geöffnet hatten, der in Iains Heimatstadt sehr bekannt war. Die Postler hatten die "neutrale Verpackung" eines Sexshops selbstverständlich enttarnt und fanden ein monströses Gerät zur rektalen Stimulation. Sie klebten das Paket behelfsmäßig wieder zusammen und beschieden, dass Iain, der damals der Jüngste war, es ausliefern müsse. Das geschah. Seither, so beschloss Iain seine Geschichte an jedem zweiten Abend, habe er keine Angst mehr vor irgendwas. Das Studium gab er bald auf, er wollte lieber was Vernünftiges machen. So habe ich ihn aus den Augen verloren.

Als der Kaffee kochte, war auch das Internet warmgelaufen. Ich tippte Iains Namen ein. Hätte ich viel früher machen sollen. Ich fand ihn schnell: 2011 hat Iain in Afghanistan an einem Tag zwölf Bomben entschärft, er wurde dafür ausgezeichnet. Ich dankte dem Internet für seine Existenz, öffnete ein weiteres Fenster, führte ein Telefongespräch und buchte einen Zug nach Edinburgh.

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