Little Britain:Geschmacksrichtung "nasse Bulldogge"

Briefmarken sind in Großbritannien selbstklebend. Als die Deutschen noch mit fahlem Geschmack im Mund leben mussten, konnten die Briten ihre First-Class-Marken bequem und stilvoll kleben. Das können sich auch heute. Außer sie schicken einen Brief nach Kontinental-Europa.

Christian Zaschke

Früher war in Großbritannien alles teurer als in Deutschland, außer Briefmarken. First-Class-Marken kosteten ein paar Pence, und sie waren schon damals, in den neunziger Jahren, allesamt selbstklebend. Selbstklebende Briefmarken zählen zu den großen Errungenschaften der Zivilisation, denn unter den Anleck-Briefmarken, wie man sie in Deutschland überwiegend erhielt, waren immer auch die, deren Geschmack man tagelang im Mund behielt.

Little Britain: Ein Hoch auf die selbstklebenden Briefmarken und ihre Erfinder.

Ein Hoch auf die selbstklebenden Briefmarken und ihre Erfinder.

(Foto: AFP)

Vermutlich benutzte die deutsche Post verschiedene Mischungen für die Klebeflächen. Jedenfalls erwischte man mit nur ein wenig Pech eine der eher unpopulären Geschmacksrichtungen "Kleister", "Rahmporree" oder "Socke". Dafür waren in Deutschland die Motive viel schöner als in Großbritannien, wo auf den First-Class-Marken bis heute immer nur die Queen zu sehen ist.

Auf Anordnung des Haus-Philatelisten, meines Kumpels Lehmann, mussten Bewohner unserer Studenten-WG seinerzeit in der deutschen Postfiliale immer explizit nach "schönen Marken" verlangen und ihm eine mitbringen, die er in seine etwas unheimliche Sammlung fügte.

Auf diese Weise geriet Lehmann durch mich zum Beispiel in den Besitz der besonders schönen Sondermarken "125. Jahrestag des Zuckerinstituts in Berlin" und "Internationale Nordseeschutzkonferenz in Den Haag". Einmal reagierte der Postbeamte auf meine Frage nach "schönen Marken", indem mir lächelnd welche rüberschob, die an den 50. Todestag des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer erinnerten. Bonhoeffer ist kurz vor Kriegsende von den Nazis im KZ Flossenbürg hingerichtet worden.

Heute ist in Großbritannien fast nichts teurer als in Deutschland, außer allem, was man wirklich zum Leben braucht, also Wohnraum, Pizza, Zigaretten, Wein und Briefmarken. Zwar gibt es die guten selbstklebenden First-Class-Marken noch, und sie kosten nur 46 Pence, aber man kann sie nicht mehr für Post nach Europa verwenden. Dazu braucht es eine 68-Pence-Marke, die leider ausschließlich in Anleck-Ausstattung und mit der einheitlichen Geschmacksrichtung "nasse Bulldogge" angeboten wird.

Wenn man in einer Londoner Postfiliale einen Brief nach, sagen wir mal, München, aufgibt, schiebt der Postbeamte den Brief samt Marke wieder über den Schalter und wartet. Den verständnislosen Blick des Kunden quittiert er mit einem freundlichen: "Bitte aufkleben."

Man bildet sich ein, dass er das Gesicht des Kunden erst in freudiger Erwartung (vor dem Anlecken) und dann mit stiller Genugtuung (nach dem Anlecken) betrachtet. Ziemlich genau, wenn der Brief sein Ziel erreicht, kehrt der Geschmackssinn zurück.

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