Little Britain:Ein musikalisches Lebewohl

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Früher gab es das Solo-Album von Ray Manzarek noch für zwei Mark (Foto: Stephan Rumpf)

Früher bezahlte man für Ray Manzareks Solo-Album nur zwei Mark: In diesen Tagen nahm unser Autor nicht nur Abschied von dem Doors-Keyboarder, sondern auch von einem zugigen Schmuckstück, das altgediente Londoner als Witz bezeichnen würden.

Von Christian Zaschke, London

Es sind Tage des Abschieds, und Abschiede kann ich nicht gut leiden. Ich weiß, Abschied ist immer und überall. Gibt keinen Grund, darum ein größeres Gewese zu machen. Und doch: In dieser Woche ist Ray Manzarek gestorben, der geniale Keyboarder der Band The Doors. Wann immer ich den Namen Ray Manzarek höre, muss ich daran denken, wie mein Vater, der ungefähr so viele Schallplatten besitzt, wie Bücher in der British Library stehen, vor Äonen in einem Plattenladen namens Music Land in der Kiste mit der Ausschussware stöberte, bis er nach knapp drei Minuten Manzareks erstes Solo-Album hervorzog, das "The Golden Scarab" heißt.

"Pffffff", machte er. Ich war damals so groß, dass ich gerade über den Esstisch spähen konnte. "Pffffffffffffffffff", machte mein Vater. Ich muss ihn so durchdringend und fragend angesehen haben, wie das nur kleinen Jungen gelingt, die gerade über den Esstisch spähen können. "Nur zwei Mark", raunte mein Vater. Er sah sich um, nahm mich bei der Hand, bewegte uns auf direktem Wege zur Kasse und bezahlte. Zwei Mark. Wir verließen den Laden umgehend und unauffällig, was ungewöhnlich war. Normalerweise blieb mein Vater einige Stunden lang im Plattenladen, weil der Plattenladen sein natürliches Habitat war und bis heute ist. Wenn er ihn verlässt, hat er normalerweise zu viele Platten gekauft, um sich unauffällig bewegen zu können.

Ich ziehe bald um, gut zweihundert Meter die Straße runter, und dieser Abschied ist natürlich viel banaler als der Tod. Keine große Sache, aber er bedeutet, dass ich den unentfernbaren Fleck Vogelscheiße an meinem Schlafzimmerfenster zurücklassen muss. Ebenso die anderen undichten Fenster, die Tröpfel-Dusche, die niemals richtig warm wird, den aufgesprungenen Laminat-Boden und den wachsenden Riss in der Wand über dem Bett. Und das vielgestaltige Kleingetier, das in dieser Woche, da die Temperaturen beliebten, knapp über zehn Grad zu klettern, zurückgekommen ist. Das zugige Schmuckstück, in dem ich doch ganz froh war, würden viele altgediente Londoner als Witz bezeichnen. Mir wird es fehlen.

Als mein Vater und ich damals den Plattenladen verlassen und uns um die nächste Ecke geschlichen hatten, hob er mich in die Luft und rief: "The Golden Scarab!" Ich nahm das zur Kenntnis. Mein Vater sagte: "Eine göttliche Platte. Und diese Pressung gibt's nicht unter 250 Mark." Ich wusste nicht, wer Ray Manzarek ist. Ich kannte die Doors nicht. Ich hatte Ray Manzareks Intro zu "Riders on the Storm" noch nicht gehört, und auch nicht sein unfassbares Orgel-Spiel auf "The End". Ich war ein Junge, der gerade über den Esstisch spähen konnte. Ich dachte: "Ah. Jetzt sind wir reich."

© SZ vom 25.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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