Little Britain:Das System der Äpfel

Apfelernte beginnt

Die Äpfel im Baum warten auf den Tag, an dem der große Pflücker ein letztes Mal in ihr Leben greift.

(Foto: dpa)

Britische Äpfel stechen nicht nur durch ihren einzigartigen Geschmack heraus. Nein, dazu tragen sie auch noch Namen von so außerweltlicher Schönheit. Lässt sich an einem Apfel nicht auch der Kreislauf des Lebens erklären?

Von Christian Zaschke, London

Was britische Äpfel zu Gleicheren unter Gleichen macht, ist nicht nur ihr einzigartiger Geschmack. Sie tragen Namen von so außerweltlicher Schönheit, dass allein Menschen mit steinernem Herzen sich von deren Klang nicht berühren und aufs schönste verwirren lassen. Polly Whitehair. Hoary Morning. Wisley Crab.

Gerade beginnt die Apfelernte in Großbritannien, die in diesem Jahr laut Apfelexperten geringer ausfällt als sonst, was wohl in erster Linie am Wetter liegt. Im zurückliegenden Jahr war es den Äpfeln offenbar sowohl zu heiß als auch zu kalt, zudem zu nass und zu trocken. Diese Empfindung teile ich. Die britischen Apfelexperten sagen, es gebe Tausende Sorten. Worcester Pearmain. Winter Banana. Foxwhelps.

Britische Äpfel haben es gern, wenn das Wetter nicht wie üblich macht, was es will, sondern ausnahmsweise mal genau richtig ist, was, wie ich finde, sehr für sie spricht. Die hiesigen Äpfel sind Freunde eines milden Herbstes, dem bevorzugt ein milder Winter folgt. In einem milden Frühling geht es ihnen wie den meisten Menschen auf der Insel: Es weitet sich das Gemüt, die Seele dehnt sich aus. Am Ende eines milden Sommers erreichen die Äpfel schließlich ihre maximale Leibesfülle; das haben sie mit mir gemeinsam.

Bis der große Pflücker kommt

Während ich mich aber auch sommers im Dienste einer gewissen Süddeutschen Zeitung den lieben langen Tag mit allergrößtem Eifer und vor allem ohne Unterlass der Arbeit hingebe, bis ich völlig ermattet in die Kissen oder sehr ausnahmsweise auf einen Barhocker sinke, hängen die Äpfel frohgemut an den Bäumen herum und erstrahlen in herrlichsten Farben. Sie leben ebenso heiter wie untätig dem Tag ihrer Pflückung entgegen. Zwar strebt auch der Mensch unaufhaltsam dem Tag zu, an dem der große Pflücker ein letztes Mal ins Leben eingreift, aber heiter ist er dabei zu selten und untätig leider fast nie.

St. Edmund's Pippin. Egremont Russet. Delbarestivale. Wer Listen mit den Namen britischer Äpfel liest und nicht spätestens nach dem zehnten in Tränen des Glücks aufgelöst ist, der mag vermutlich auch Rahmporree und wird beim Anblick seiner Hammerzehen jedes Mal von einer Aufwallung der Selbstliebe fast vollständig übermannt. D'Arcy Spice. Laxton's Fortune. Diese Eleganz. Blenheim Orange. Chivers Delight. Diese Anmut. Howgate Wonder. Pig's Snout. Wäre jedes Mehr an Erhabenheit nicht ein Zuviel? Ashmead's Kernel. Bloody Ploughman.

Gerade britische Äpfel sind mit Birnen wirklich nicht zu vergleichen.

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