Little Britain:Ah, Fettie

Handout photo of Kajal Desai leads a Doonya class in New York City

Eine high-energy aerobic Klasse in New York City.

(Foto: Reuters)

Für gewöhnlich fühlt man sich nach einem Besuch im Fitnessstudio erschöpft, aber glücklich. Schließlich hat man etwas für die Figur und die Gesundheit getan. Ganz anders wird einem aber bei den sportlichen Aktivitäten, wenn man von lauter Muskelmenschen umgeben ist.

Von Christian Zaschke, London

Ins Fitnessstudio gehe ich grundsätzlich nachmittags. Mein Weg führt mich an zwei Pubs und einem Krankenhaus namens Royal Free vorbei, das im Stil des Brutalismus errichtet wurde. Warum, denke ich oft, können Krankenhäuser nicht schöne, farbenfrohe Gebäude sein, deren Anblick das Gemüt hebt, den Blutdruck senkt und ein Lächeln auf die Gesichter zaubert? Vielleicht deshalb: Fast jedes Mal, wenn ich zum Fitnessstudio spaziere, frage ich mich, ob ich nicht besser in einen der Pubs gehen sollte, ins George oder ins Roebuck, wo sich umgehend ein solides Tresengespräch anzetteln ließe, was möglicherweise erbaulicher wäre, als erst auf einem Fahrrad ohne Räder zu sitzen, dann allerlei Gewichte durch die Gegend zu bewegen, um anschließend Muskeln gegen ihren Willen zu dehnen. Man hielte ein Guinness in der Hand, redete allerhand dummes Zeug, und später, viel später, ginge man im Gefühl nach Hause, dass Pubs doch von erstaunlich vielen freundlichen Menschen bevölkert werden.

Aus zwei Gründen habe ich der Versuchung nie, wirklich nie nachgegeben. Erstens gehöre ich zur Spezies des reinen Abendtrinkers. Ich kann nachmittags kein Bier trinken. Zweitens wird meine Brust, sobald ich die schwarz-grauen Umrisse des Royal Free erblicke, mehr als ganz ausgefüllt vom Wunsch, niemals das Innere dieses Gebäudes zu sehen, weshalb ich stets umgehend das dringende Bedürfnis verspüre, erst auf einem Fahrrad ohne Räder zu sitzen, dann allerlei Gewichte durch die Gegend zu bewegen, um anschließend Muskeln gegen ihren Willen zu dehnen.

In dieser Woche aber hatte die Redaktion in München beliebt, sich dahingehend abzusprechen, dass von morgens bis abends ununterbrochen jemand anrief, um mich zwar nicht von der Arbeit, wohl aber vom nachmittäglichen Besuch des Fitnessstudios abzuhalten. Schließlich stahl ich mich eines Abends trotz des klingelnden Telefons gegen acht davon, passierte das George und das Roebuck und erreichte tatsächlich das Fitnessstudio.

Allerdings war es nicht das Fitnessstudio, das ich kannte und vielleicht sogar ein bisschen liebgewonnen hatte. Wo ich sonst nachmittags als halbtrainierter Mann unter halbtrainierten Frauen und Männern ein bisschen vor mich hinradelte, Gewichte schaukelte und mich angelegentlich dehnte, stand ich nun abends als untrainierter, mittelalter Sack unter lauter Muskelmännern. Keine Frau, nirgends. Und die Muskelmänner dachten, ich sah es an ihren Blicken: ah, Fettie.

Drei Sekunden stand ich und schaute mir das an. Vier Sekunden. Selbst der Schweiß im Studio roch aggressiv. Fünf Sekunden. Ich atmete ein, ich atmete aus.

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