Literturgeschichte:Die Höhle des Poltergeists

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Das Wohnhaus des Autors und Kunstsammlers Lothar-Günther Buchheim soll abgerissen werden.

Von Wolfgang Görl

Wer jemals das Glück hatte oder das Pech , zu Gast bei Lothar-Günther Buchheim in dessen Villa in Feldafing am Starnberger See zu sein - der Hausherr konnte jederzeit fuchsteufelswild werden - wird das an eine Antiquitätenbude gemahnende Interieur nicht vergessen, das mehr für die Präsentation von Dingen als für das Wohnen von Menschen geschaffen zu sein schien.

An der Haustür empfing Buchheims Frau Diethild, die "Ditti", den Besucher und führte ihn über eine Stube, wo jeder erdenkliche Fleck mit Briefbeschwerern aus Muranoglas bestückt war und wo wie nebenbei ein Picasso hing, geradewegs ins Arbeitszimmer des Meisters. In der Regel blieb nicht viel Zeit, das Sammelsurium der dort aufbewahrten Raritäten zu studieren, denn Buchheim zog es vor, ohne Umschweife loszupoltern auf all die "Kulturschranzen", "Sesselfurzer" und "politischen Mümmelmänner", die ihm das Leben sauer machten.

Erst wenn er an seinem Tee nippte, von dem der Gast, sofern er für würdig erachtet wurde, an guten Tagen eine Tasse abbekam, konnte man einen Blick riskieren: auf die Plakate, Zeichnungen, Fotos und Schattenspielfiguren, die an der Wand hingen, auf die Regale voller Akten, Bücher, Zeitschriften und vergilbter Zeitungsausschnitte, auf die lebensgroße Puppe, die auf einem Stuhl lümmelte, und den Wust aus Papieren und Briefen auf dem Schreibtisch. Das ist schon ein bisschen chaotisch, dachte man, aber irgendwie passte das auch zu dem alten graubärtigen Mann mit der Augenklappe, der sich hier eine Höhle eingerichtet hatte, die so sperrig und g'spinnert und zugleich geistreich verspielt war wie er selbst.

Buchheim, der Schriftsteller, Maler, Sammler und Poltergeist, starb im Februar 2007. Er hat ein verdammt großes Denkmal hinterlassen, das "Museum der Phantasie" - sein Museum mit all den Heckels, Kirchners, Noldes, Pechsteins oder Schmidt-Rottluffs und zahllosen anderen Trophäen seiner Sammelleidenschaft, das nach jahrzehntelangem Gezerre in Bernried, ebenfalls am Starnberger See, errichtet wurde. In seinem Wohnort Feldafing war das Projekt einem Bürgerentscheid zum Opfer gefallen, er hatte sich zu viele Feinde gemacht und dazu gab es die üblichen Bedenken wie Lärm und Verkehr.

Buchheim, der 1940 als Kunststudent in Feldafing aufgetaucht war, hatte die Villa 1956 einer Witwe abgekauft. Auch seinen Verlag verpflanzte er auf das Grundstück, auf dem er allerlei Grünzeug wild wuchern ließ, sofern es nicht den Pavillons und Holzhütten im Weg stand, in denen er skurrile Kunstwerke ausstellte. Das alles hat Diethild Buchheim nach dem Tod ihres Mannes ebenso bewahrt wie die im Haus verbliebenen Kunst- und Kitschobjekte. "Ditti" starb im März 2014. Seitdem ist die Villa verwaist. Und wenn kein Wunder geschieht, wird sie abgerissen.

Warum? Nun, es ist nicht so, dass dabei jenes Feldafing im Spiel wäre, das zu Buchheims Lebzeiten in zwei Lager gespalten war, in die Truppe der Museumsfreunde und die der Museumsgegner, wobei Letztere einst über dessen "Bildchen und Figürchen" hergezogen sind. Nein, der tatsächliche Akteur in dieser Sache ist die gemeinnützige Buchheim-Stiftung. Sie fungiert als Träger des Bernrieder Buchheim-Museums. Nach dem Tod von Diethild Buchheim ist die Villa nebst dem ehemaligen Verlagsgebäude in den Besitz der Stiftung übergegangen. Wie der Zustand der Immobilie ist, beschreibt Walter Schön, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, mit bitterem Witz: "Wenn wir die Tausende von Büchern rausnehmen, fällt das ganze Haus in sich zusammen." Die 130 Jahre alte Villa sei so marode, dass es einem Gutachten zufolge eine Million Euro kosten würde, "um es auf den technischen Stand von heute zu bringen". Damit hätten sich auch erste Überlegungen erledigt, das Haus als Zweigstelle des Museums zu nutzen, zumal da noch Unterhalts- und Personalkosten anfielen, "die außerhalb unserer finanziellen Möglichkeiten stehen".

In der Nähe arbeitete Thomas Mann an seinem "Zauberberg"

Was aber stattdessen tun? Die Immobilie als "wirtschaftliche Ressource für die Stiftung nutzen", sagt Schön. Schließlich habe die Stiftung den Auftrag, "alle Ressourcen ins Museum zu stecken". Also weg mit dem alten Gemäuer und das Grundstück in bester Investorenmanier verwerten. Dem Stiftungsvorstand schwebt vor, auf dem Grundstück Wohnbauten zu errichten und sie entweder zu vermieten oder zu verkaufen. Eine Bauvoranfrage hat man bereits eingereicht, sie sieht zwei lang gestreckte Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 13 Wohnungen vor.

Nicht sonderlich weit von Buchheims Domizil steht das "Villino", ein Sommerhäuschen, das, wie der Literaturwissenschaftler Dirk Heißerer herausgefunden hat, Thomas Mann als Rückzugsort nutzte, um am "Zauberberg" zu arbeiten. Das "Villino" steht seit 2001 unter Denkmalschutz, ein kleines, sehenswertes Museum erinnert an das "Mausloch mit Grammophon", wie Thomas Mann das Häuschen nannte. Niemand denkt daran, das "Mausloch" abzureißen. Bei Buchheims Villa ist man weniger heikel. Gewiss, Thomas Mann logiert noch um einiges höher im Olymp, womöglich hätte das sogar Buchheim zugegeben .

Aber er, Buchheim, ist auch nicht irgendwer. Mit seinem Kriegsroman "Das Boot" hat er Weltruhm erlangt, der Nachfolgeroman "Die Festung" ist nicht minder beeindruckend, dazu die Kunstbücher, seine Malerei, ganz zu schweigen von seiner Expressionisten-Sammlung. Die Bücher hat er in der Arbeitshöhle der Villa geschrieben, und hier, in Feldafing, hat er sich als genialischer und nicht selten egomanischer Kulturhäuptling inszeniert, der, so sah er es, sich mit "Gulliratten" und "Brunnenfröschen" herumschlagen müsse.

Vielleicht ist es nicht allzu abwegig, um angesichts dessen auf die Idee kommen, der Abriss der Villa wäre eine ziemliche Dummheit, wenn nicht eine Schande. Das Haus ist nicht nur ein bedeutendes Stück Feldafinger Ortsgeschichte, sondern es gehört insofern auch zur deutschen Kulturgeschichte, als es die Wirkungsstätte eines Künstlers und Kunstbesessenen war, der Großartiges, aber auch Fragwürdiges geleistet hat. Seine U-Boot-Zeichnungen, auch das muss gesagt werden, gefielen den Nazis so gut, dass sie einige der Blätter in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" im Münchner "Haus der Deutschen Kunst" präsentierten.

Stiftungschef Walter Schön aber sagt, es tue ihm leid, weil es ein "ganz spezifisches Haus" ist, das demnächst verschwindet. Aber man werde das, "was besonders Buchheim-typisch ist", ins Museum transferieren. Dies wird schwierig. Buchheim-typisch ist eigentlich die ganze Villa.

© SZ vom 26.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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