Literaturtage:Aufstand der Unerwünschten

Bei der Frankfurter Litprom stehen Entwicklungen in Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt im Mittelpunkt. In diesem Jahr geht es speziell um die "Kartographien des Weiblichen".

Von Volker Breidecker

Eine Maxime des Literaturbetriebs, von Verlagsseite exekutiert, lautet: "Ernsthaft ist der Mann, unterhaltsam die Frau." Wunderbar lakonisch brachte Zoë Beck die gängigen Verlagswünsche, wie Frau, vorwiegend für Frauen, zu schreiben habe, auf den Begriff. Neben zwölf prominenten Schriftstellerinnen aus dem Globalen Süden war Zoë Beck zu den Litprom-Literaturtagen eingeladen. Dahinter steht eine gemeinnützige Tochter der Frankfurter Buchmesse zur Förderung von Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika und der arabischen Welt.

Es gab Anlass, den zum 30. Mal ausschließlich an Frauen vergebenen Literaturpreis zu feiern, der, ein kleiner Unterschied, "LiBeraturpreis" heißt, in Anlehnung an Women's Lib. Nahe liegt die Etikette eines "Feminismus für alle", mit dem die Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie ihr Manifest "We Should All Be Feminists" (2012) überschrieben hat. Doch Vorsicht! Auf der Litprom grenzten sich gerade Frauen der südlichen Hemisphäre wie die Kenianerin Yvonne Adhiambo Owuor, die Argentinierin Claudia Piñeiro oder die iranische LiBeraturpreisträgerin Faribā Vafī vom lukrativen Feminismus weißer Frauen aus der Mittelklasse ab, weil die jeweiligen Erfahrungen mit Diskriminierung, mehr noch mit männlicher Gewalt einander kaum vermittelbar seien: Frauen auf der Südhalbkugel müssten oft und vor allem ums nackte Überleben kämpfen.

Auch Owuor will kein feministisches "Sprachrohr" sein: "Wenn Sie mich als Sprachrohr wollen, dann müssen Sie mich an die Wand stellen." Die markige Metapher rückt noch indirekt Erfahrungen extremer Gewalt, wovon alle Autorinnen zu erzählen wussten, in den Fokus: Am stärksten, sprachkräftigsten kam dies im leidenschaftlichen Vortrag der jungen indischen Dichterin Meena Kandasamy zutage. Sie leiht der niedrigsten, nahezu rechtlosen Kaste, der sie auch angehört, ihre Stimme und berichtet in Lyrik und Prosa von extremen Formen sexualisierter Gewalt und ungesühnten Massakern an Frauen.

"Dalit" - "die Unberührbaren" - heißt Kandasamys Kaste, und es ist der stolze Titel einer literarischen Zweimonatsschrift, die sie als Rebellin wider das Kastenwesen und das zugehörige Schweigen über sexualisierte Gewalt herausgibt. Wie sich die Verhältnisse in Afrika gleichen, um doch allmählich aufzubrechen, darüber berichtet die temperamentvolle Senegalesin Ken Bugul mit sonorer Stimme und enormer mimischer wie gestischer Ausdruckskraft: Ihr Name, ein Pseudonym, bedeutet "die, die nicht erwünscht ist", trifft sich also mit den Erfahrungen der südindischen Kollegin. Für Bugul, die es wagte, das eherne Gesetz zu durchbrechen, wonach Frauen gefälligst zu schweigen haben, sind diese Zeiten vorbei. Anfangs wurde ihr Heraustreten aus dem Schatten des Dorfes noch als Skandal empfunden: Eine Frau, eine dem Sufismus nahestehende Muslimin, eine Afrikanerin aus traditioneller, kaum alphabetisierter Familie, die es nicht nur wagt, die Stimme zu erheben, sondern im nächsten Zug auch noch schreibt, wurde zunächst als subversive Rebellin angefeindet, sorgte aber am Ende selbst für die Erosion zuvor ungebrochener patriarchalischer Verhältnisse.

Dann war da noch die indonesische Schriftstellerin Laksmi Pamuntjak gekommen, die mit ihrem Romanepos "Alle Farben Rot" aus dem Jahr des indonesischen Ehrengastauftritts auf der Buchmesse 2015 Leser wie Publikum verzauberte: Jetzt erzählte sie, wie sie aufgewachsen war im Schatten undeutlicher Erinnerungen und lastender Tabus um die Pogrome der Jahre 1965 bis 1968, denen rund eine Million Menschen zum Opfer fielen - abgeschlachtet von fanatisierten Mobs, Todesschwadronen und einer grausamen Soldateska -; und wie sie vor aller Politik, Gesellschaft und Justiz, die sich der notwendigen Auseinandersetzung mit dieser Epoche weiter verweigern und entziehen, nach einer epischen Sprache suchte, um über dergleichen Wunden zu schreiben und in der parallelen Entfaltung einer Liebesgeschichte gleichwohl eine Art Heilmittel zu entdecken. Pamuntjaks großes Land, das, wie sie beklagt, seit einigen Jahren eine bedrohliche Rückentwicklung erfährt, hätte längst mehr Aufmerksamkeit verdient, auch und gerade aus Deutschland.

Neben der Exilchinesin Madelaine Thien und der Koreanerin Anna Kim, die absagen mussten, hätte man sehr gerne die im saudischen Mekka lebende Raja Alem gehört, die über alles schreibt - Sex, Politik und Religion -, worüber man nach hiesigen Vorstellungen in der islamischen Kultur angeblich nicht schreiben könne. Leider wurde ihr kurz vor der Abreise die Handtasche samt Pass gestohlen. Für sie sprang die Syrerin Dima Wannous ein und schilderte die Lasten psychischer Traumata infolge struktureller Gewaltverhältnisse, die sich freilich nicht nur gegen Frauen richten und die aufgrund ihrer ubiquitären Ähnlichkeit weder geografische noch physische Grenzen kennen.

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