Literaturprojekt:Bäume für Bücher

Ein Wald von 1000 Bäumen wurde bei Oslo gepflanzt. Für 100 Bücher, die Jahr für Jahr geschrieben, aber erst nach hundert Jahren veröffentlicht werden sollen. Jetzt hat der Brite David Mitchell ein Werk beigesteuert.

Von Nicolas Freund

Katie Paterson macht sich Sorgen um die Zukunft. Deshalb hat sie vor zwei Jahren ein Kunstprojekt gestartet und nördlich von Oslo 1000 Bäume gepflanzt. Nicht um den Planeten zu retten, oder weil sie denkt, dass es bald keine Bäume mehr geben könnte. Im Gegenteil: Für den neuen wurde ein bereits bestehender Wald abgeholzt. Und auch diese Bäume sollen irgendwann gefällt werden, um aus ihnen Papier für Bücher herzustellen. Aus dem Wald bei Oslo soll nichts Geringeres als die Literatur der Zukunft entstehen.

Während die Bäume wachsen, schreiben nämlich, so der Plan, 100 Jahre lang 100 Autoren je ein neues Werk pro Jahr für die "Future Library", wie sich das Projekt nennt. Diese Bücher werden bis 2114 unter Verschluss gehalten. Nur die Autoren kennen ihren Inhalt. Die mit den Bäumen wachsende Bibliothek der Zukunft befindet sich nicht im Wald, sondern in einem besonderen Raum des Neubaus der Deichmanske bibliotek in Oslo. Ausgewählt werden die Autoren von einem "Expertenrat und Paterson", wie das der britische Guardian formuliert hat.

Den ersten Text hat Margaret Atwood beigesteuert, vor wenigen Tagen hat David Mitchell, der Autor des Science-Fiction-Romans "Cloud Atlas", seine Geschichte für die Literaturzeitkapsel übergeben. In einem Videointerview lobte er die schöne Idee der Nachhaltigkeit, für die das Projekt stehe. Der nächste Zukunfts-Autor steht noch nicht fest.

Interessant wäre es zu erfahren, welche Schriftsteller bereits abgesagt haben. Und auch die Möglichkeit, die Zukunftsbibliothek als Literaturendlager zu nutzen, sollte nicht unterschätzt werden. So mancher Fesselsex-Roman könnte in dem Lager sicher verwahrt werden. Zumindest für viele Jahre, dann müsste man diese literarischen Zeitbomben vielleicht an einen neuen Aufbewahrungsort bringen. Aber es wäre ein Anfang.

Beachtlich ist auch die potenzielle, noch nicht zu überschauende Provokationskraft des Projekts: Dass Margaret Atwood einen ihrer Texte in der Bibliothek versenkt hat, interessierte erst mal nicht besonders viele Leser. Bei David Mitchell dagegen regte sich nun schon leiser Unmut auf Seiten der Fans, denen damit auf Lebzeiten ein Werk ihres Lieblingsautors vorenthalten wird. Immerhin, die Buchrücken kann man sich in der neuen Bibliothek in Oslo ansehen. Und die wird sogar bereits im Jahr 2019 eröffnet. Aber man stelle sich nur vor, beispielsweise der nächste Band von "Game of Thrones" würde dort für die kommenden Jahrzehnte gebunkert werden. Wie die Reaktionen der Fans darauf ausfielen, will man sich gar nicht erst ausmalen.

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