Literaturpreis:Wie lernt man, schwarz zu sein?

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Überraschender Gewinner: Paul Beatty, 54.

(Foto: H. Assouline/Opale/Leemage/laif)

Erstmals gewinnt ein US-Amerikaner den Man-Booker-Preis - und das mit einer krassen Satire auf den Rassenhass in den Vereinigten Staaten: Paul Beattys Roman "The Sellout" ist der überraschende Sieger.

Von Alexander Menden

So mancher Preisgewinner behauptet ja in seiner Dankesrede, er habe gar nichts vorbereitet, weil er nie damit gerechnet hätte, die fragliche Auszeichnung tatsächlich zu bekommen. Doch als Paul Beatty am Dienstagabend in der Londoner Guildhall den Man-Booker-Preis entgegennahm, glaubte man ihm sofort, als er stammelte: "Das habe ich wirklich nicht erwartet!"

Tatsächlich war der 54-Jährige mit seinem Roman "The Sellout" ein Überraschungsgewinner. Viele Kritiker und auch die britischen Wettbüros hatten "Do Not Say We Have Nothing" vorne gesehen, das hochgelobte Buch der chinesisch-malaiisch-stämmigen Kanadierin Madeleine Thien über eine Mutter und eine Tochter, die einer Dissidentin Unterschlupf gewähren. Auch dem Bestseller unter den sechs Booker-nominierten Autoren, Graeme Macrae Burnets ländlicher Mordgeschichte "His Bloody Project", hatte man gute Chancen eingeräumt.

Nun aber erhält in Beatty erstmals in der 48-jährigen Geschichte des Literaturpreises ein Amerikaner den Booker. Ermöglicht wurde das durch eine Regeländerung, die den Wettbewerb vor drei Jahren für sämtliche englischsprachigen Romane öffnete. Bis dahin waren nur Werke von Autoren aus Großbritannien, Irland und dem Einzugsbereich des ehemaligen Commonwealth zugelassen gewesen. Die Jury wich auch sonst von den gewohnten Entscheidungskonstanten ab, indem sie eine waschechte Satire prämierten. Jury-Mitglied Olivia Williams verriet, ihr Mann habe ihr verboten, "The Sellout" im Bett zu lesen, weil sie bei der Lektüre zu laut gelacht habe.

So viel brutale Komik über Fragen, die Amerika derzeit umtreiben, ist ein Novum

Tatsächlich ist Beattys Roman eine Frontalattacke auf zeitgenössische ethnische Empfindlichkeiten und die damit einhergehende Heuchelei und Vertuschung des noch immer endemischen amerikanischen Rassismus. Der Ich-Erzähler, den man nur als "Me" kennenlernt, hat in einer Art Lotterie einen Prozess vor dem Supreme Court, dem höchsten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, gewonnen. Sein Verbrechen ist sein geradezu lustvoller Verstoß gegen die Rassengesetze: Me lebt auf einer Farm inmitten einer verarmten schwarzen Nachbarschaft. Als seine Stadt, Dickens, durch Eingemeindung von der Landkarte verschwindet, leidet besonders Mes Nachbar Hominy Jenkins darunter, der noch immer seiner Glanzzeit als Ziel rassistischer Witze in der Fernsehserie "Die kleinen Strolche" hinterhertrauert. Jetzt, da Dickens weg ist, finden die Fans der Serie ihn nicht mehr, um Autogramme zu erbitten. Hominy bietet Me an, sein Sklave zu werden, bis Dickens wieder auf der Landkarte erscheint. Me selbst geht noch weiter und versucht, die Rassentrennung an den Schulen der Umgebung wiedereinzuführen, um Dickens seine Identität zurückzugeben.

"Schwarz zu sein ist kein method acting", beschwert sich Hominy. "Lee Strasberg konnte dir beibringen, wie man einen Baum spielt, aber nicht, wie man ein Nigger ist." Darum geht es in "The Sellout" - zu lernen, was es heißt im sogenannten post-ethnischen Amerika ein "Nigger" zu sein - ein toxisches Wort, das auch Me sehr großzügig verwendet, gerade, wenn er von sich selbst spricht. Denn Me ist natürlich selbst schwarz. Das, was Beatty hier in einer Sprache, die jedem weißen Autor das Genick brechen würde, angreift, sind all die Themen, die in Amerika gegen Ende der Amtszeit seines ersten schwarzen Präsidenten mehr umtreiben denn je: Diskriminierung, Polizei- und Ganggewalt, das Erbe der Sklaverei. Und er tut es mit einer brutalen Komik, die man unter den Booker-Gewinnern bisher vergeblich suchte.

Bereits im März wurde "The Sellout" mit dem amerikanischen National Book Critics Circle Award prämiert. Dennoch wird es interessant sein, zu beobachten, ob Beattys Status als erster amerikanischer Booker-Preisträger in Amerika einen ähnlichen positiven Effekt auf die Verkaufszahlen seiner Werke haben wird, wie ihn seine Vorgänger vor allem in Großbritannien verzeichnen konnten. Ein besonderer Triumph ist die Auszeichnung jedenfalls für den kleinen Verlag Oneworld. Er publizierte schon den Roman "A Brief History of Seven Killings", der dem Jamaikaner Marlon James vergangenes Jahr den Booker-Preis eintrug.

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