Literaturnobelpreis 2017:Das sind die Favoriten für den Literaturnobelpreis

Manche überraschen, andere gehören zu den ewigen Nominierten. Wer kommt für den diesjährigen Literaturnobelpreis in Frage? Die Top Ten der Buchmacher.

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(Foto: Loic Venance/AFP)

Rang 10: Don DeLillo Geboren 1936 in der Bronx, New York, USA Amerikanische Autoren sind eine schwierige Wahl beim Literaturnobelpreis, wäre die Entscheidung doch immer auch eine politische. Würde Don DeLillo (laut den englischen Buchmachern des weltweit führenden Wettbüros von Ladbrokes auf Rang zehn), einer der wichtigsten zeitgenössischen US-Autoren, den Preis tatsächlich kriegen, müsste er sich doch zur aktuellen politischen Lage und zu Trump äußern. Nicht, dass er das nicht schon getan hätte. Im Guardian nannte er den republikanischen US-Präsidenten "die Halluzination unserer Nation". Man kann sich eine Dankesrede von DeLillo ohne aktuellen Bezug kaum vorstellen, noch dazu, wo er in seinen Werken doch stets aktuelle Ereignisse verarbeitet. In "Mao II" geht es um religiös motivierten Terrorismus, in "Cosmopolis" um Cyber-Kapitalismus, in "Unterwelt" schildert DeLillo die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts im Lichte von Baseball und Atombomben, und "Falling Man" behandelt den 11. September. Don DeLillo gilt nicht umsonst als "Chronist der spätmodernen Paranoia". Kurz vor seinem 80. Geburtstag wäre der Nobelpreis natürlich ein hübsches Geschenk - aber wohl ein zu gewagtes für das Nobelkomitee.

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(Foto: AFP)

Rang 9: Adonis Geboren 1930 als Ali Ahmad Said Esber in Qassabin bei Lattakia, Nordsyrien Neben Ko Un steht der syrisch-libanesische Intellektuelle Adonis als einziger Lyriker in den Top Ten von Ladbrokes. Er gilt als größter arabischsprachiger Dichter des 20. Jahrhunderts und zählt schon seit Langem zu den Spitzenkandidaten für den Nobelpreis. Seit vielen Jahren lebt er im Exil in Paris. Der 85-Jährige heißt mit bürgerlichem Namen Ali Ahmad Said Esber. Nach dem schönen Adonis aus der griechischen Mythologie benannte er sich als 17-Jähriger - weil er hoffte, seine Liebesgedichte so besser verkaufen zu können. Doch der Adonis-Mythos vom wiederauferstandenen Jüngling steht auch für eine weltanschauliche Erneuerung, wie Ali Ahmad Said sie sich schon immer für die arabische Welt wünschte. Sein Gedichtzyklus "Die Gesänge Mihyars des Damaszeners" (1963) gilt als das arabische Pendant zu Nietzsches "Also sprach Zarathustra". Trotz seines politischen Engagements für Laizismus und Demokratie in der arabischen Welt stand Adonis dem Arabischen Frühling von Anfang an skeptisch gegenüber, was ihm viel Kritik von Aktivisten und anderen Intellektuellen einbrachte. Zuletzt erntete er Vorwürfe, er habe sich nicht ausreichend vom brutalen Vorgehen des Assad-Regimes gegen das syrische Volk distanziert. Die Kontroversen um seine Person haben die Chancen auf den Nobelpreis zwischendurch vermindert. Seine Wahl wäre ebenfalls mit einer politischen Aussage verknüpft.

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(Foto: imago/ZUMA Press)

Rang 8: Javier Marías Geboren 1951 in Madrid, Spanien "Nichts ist ganz und gar und unwiderruflich wahr, immer kann noch ein neuer Zeuge hinzutreten. Der einzige Ort, an dem das nicht so ist, sind Romane!", sagte Javier Marías 2015 in einem Interview mit der Zeit. Der spanische Schriftsteller, Sohn eines vom Franco-Regime verfolgten Philosophen, gilt als beachtenswerter Erzähler, aber auch als einer, der die Geduld des Lesers mit langen, ausufernden Sätzen strapaziert. Mit 19 Jahren verfasste er seinen ersten Roman, sein Buch "Mein Herz so weiß" wurde zum Bestseller. In Werken wie "Der Gefühlsmensch", "Alle Seelen" oder "Dein Gesicht morgen" schildert Marías die menschliche Seele mit all ihren Ausprägungen. In seinem jüngsten Werk "So fängt das Schlimme an" schreibt der 65-Jährige über die Abgründe einer Ehe. Er setzt sich mit der Frage auseinander, was man über einen anderen Menschen wirklich wissen kann - und wie wir damit umgehen, wenn dunkle Geheimnisse gelüftet werden. Auch wenn der Spanier sich wie nur wenige andere Autoren der Menschenbeobachtung verschrieben hat, gilt sein Werk als zu wenig aussagekräftig für einen Literaturnobelpreis. Noch.

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(Foto: REUTERS)

Rang 7: Claudio Magris Geboren 1939 in Triest, Italien Ein Literaturnobelpreis für den italienischen Schriftsteller, Essayisten und Germanisten Claudio Magris wäre ein starkes Signal für ein Europa, das sich durch das gegenseitige Interesse seiner Völker aneinander auszeichnet. Obwohl Magris den größten Teil seines Lebens in seiner Geburtsstadt Triest verbrachte, wo er bis 2006 als Professor für deutsche Literatur lehrte und forschte, zeichnet sich sein Werk durch eine Perspektive aus, die sich nicht auf die räumliche und zeitliche Gegenwart beschränkt. Schon in seiner mit nur 24 Jahren verfassten Doktorarbeit "Der habsburgische Mythos und die österreichische Literatur" verfolgte er einen in seinen Augen zentralen Wesenszug des österreichischen Staates und Volkes - der oft ins Märchenhafte abdriftende Rückbezug auf eine wohlwollende Monarchie - von seinen Ursprüngen im frühen 19. Jahrhundert bis in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften". Seinen literarischen Durchbruch schaffte Magris 1986 mit "Donau. Biographie eines Flusses", das nicht einfach nur ein Sachbuch über die Donau ist, sondern eine historische und kulturelle Reise durch ein Mitteleuropa, das sich nicht einfach durch nationale Grenzen zerteilen lässt.

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(Foto: dpa)

Rang 6: Amos Oz Geboren 1939 in Jerusalem, Israel Amoz Oz zählt zu den Langzeitkandidaten für den Literaturnobelpreis und ist dieses Jahr wieder unter den Favoriten. Der 78-Jährige ist einer der berühmtesten israelischen Schriftsteller. Untrennbar mit seinem literarischen Werk ist seine politische Haltung verbunden. Oz, der sich für eine Zweistaatenlösung im Israel-Konflikt einsetzt, schreibt nicht nur Belletristik, sondern auch politische Essays. Immer wieder thematisiert er in seinen Romanen die politischen und gesellschaftlichen Spannungen in seiner Heimat. Zu seinen berühmtesten Werken zählen "Mein Michael" (1968), "Der dritte Zustand" oder zuletzt 2015 "Judas" über den Nahostkonflikt. Aufgewachsen in einem Kibbuz, studierte Oz Literatur und Philosophie und kehrte anschließend wieder in den Kibbuz zurück. Sein Werk wurde in 36 Sprachen übersetzt. Der deutsche Schriftsteller Günter Grass etwa, selbst Literaturnobelpreisträger, hielt Oz viele Jahre lang für einen würdigen Anwärter auf die Auszeichnung. Allein für seinen autobiografischen Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" hätte Oz den Literaturnobelpreis verdient, so Grass. Im vergangenen Jahr wurde das Buch von Natalie Portman verfilmt.

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(Foto: imago/China Foto Press)

Rang 5: Yan Lianke Geboren 1958 in Luoyang, China Nach der umstrittenen Vergabe des Nobelpreises an Bob Dylan im vergangenen Jahr erwarten viele, dass der nächste Literaturnobelpreis eine Art Befreiungsschlag für die Akademie sein wird und nicht an einen amerikanischen oder europäischen Autor gehen wird. Ein aussichtsreicher Kandidat könnte deshalb der Chinese Yan Lianke sein, ein in Europa praktisch unbekannter Autor, obwohl viele seiner Werke übersetzt wurden. Yan Lianke trat jung in die Armee ein und begann erst mit Anfang 30 literarisch zu schreiben, das aber sofort sehr regimekritisch. In China sind die meisten seiner Werke verboten, wie "Der Traum meines Großvaters", das auf einem realen Skandal basiert: Um Geld zu verdienen, spenden die Bewohner eines chinesischen Dorfes Blut und werden dabei fast alle mit Aids infiziert. Wie viele andere chinesische Autoren hat Yan Lianke in den letzten Jahren eine Strategie entwickelt, um der Zensur zuvorzukommen. Seine jüngeren Texte sind immer ironischer, allegorischer und fantastischer geworden. Gegen einen Preis für Yan spräche allerdings, dass mit Mo Yan erst vor fünf Jahren ein chinesischer Autor ausgezeichnet wurde.

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(Foto: AFP)

Rang 4: Ko Un Geboren 1933 in Gunsan, Südkorea In dieser Biographie findet sich das ganze Drama koreanischer Geschichte des vergangenen Jahrhunderts. Den Koreakrieg Anfang der 1950er Jahre überlebte der Bauernsohn Ko Un traumatisiert und in Trauer um viele Verwandte und Freunde. Noch vor Ende der Kämpfe zog sich der junge Mann in ein buddhistisches Kloster zurück. Erst zehn Jahre später versuchte er, wieder ein weltliches Leben zu führen und sich dem Schreiben zu widmen. Ängste und Depressionen sollten ihn aber noch lange verfolgen. An die 135 Werke sind von Ko Un erschienen, darunter Gedichte, Dramen und Essays. Das Engagement in der südkoreanischen Demokratiebewegung brachte Ko Un in den 1970er und 1980er Jahren mehrfach hinter Gitter. Undenkbar damals, dass er später Lehraufträge an der National University der Hauptstadt Seoul bekommen und als einer der prominentesten Autoren seines Landes verehrt werden sollte. Ko Un, von manchen Kritikern auch als Naturgewalt bezeichnet, blieb nach eigener Aussage durch den Buddhismus am Leben. Sein Werk ist mittlerweile in mehr als fünfzehn Sprachen übersetzt. Auf Deutsch sind unter anderem "Die Sterne über dem Land der Väter" sowie die Gedichtsammlungen "Ein Tag voller Wind" und "Beim Erwachen aus dem Schlaf" erschienen.

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(Foto: imago/ZUMA Press)

Rang 3: Margaret Atwood Geboren 1939 in Ottawa, Kanada Mit Margaret Atwood steht in diesem Jahr nur eine einzige Frau in den Top Ten der Buchmacher, dafür steht sie aber auch recht weit vorne. Atwoods Bücher sind in mehr als 30 Sprachen erschienen, sie gilt als erfolgreichste Autorin Kanadas. In ihren Büchern greift sie oft aktuelle gesellschaftspolitische Themen in Form von Science-Fiction-Erzählungen auf - zum Beispiel Umweltfragen oder die gesellschaftliche Stellung der Frau. Ihr dystopischer Roman "Der Report der Magd" ("The Handmaid's Tale") aus dem Jahr 1985 tauchte nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wieder auf den internationalen Bestsellerlisten auf. Das Buch erzählt von einer theokratischen Gesellschaft in den USA einer nahen Zukunft, in der Frauen unterdrückt und als Gebärmaschinen missbraucht werden - im Namen traditioneller, christlicher Werte. Eine Serienverfilmung des Stoffs mit Elizabeth Moss und Joseph Fiennes hat in diesem Jahr mehrere Preise gewonnen. 2017 wurde Atwood der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen.

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(Foto: AFP)

Rang 2: Haruki Murakami Geboren 1949 in Kyoto, Japan Mal wieder auf Platz zwei der diesjährigen Wettliste von Ladbrokes steht der japanische Bestsellerautor schlechthin. Haruki Murakami, so heißt es, wurde an einem lauen Frühlingstag zu seinem ersten Roman inspiriert - während eines Baseballspiels. Der Mittzwanziger hatte Theaterwissenschaft und Drehbuchschreiben studiert, dann aber in Tokio eine eigene Jazzbar aufgemacht. Obwohl Murakami selbst mit seinen ersten literarischen Versuchen später nichts mehr zu tun haben wollte: Seine Zukunft lag doch im Schreiben. "Kafka am Strand", "Naokos Lächeln" und der Erzählband "Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah" - nur drei Titel aus einer eindrucksvollen Reihe von Erfolgen. Anfang 2014 erschien in Deutschland sein Roman "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki", der von der Kritik erneut gefeiert wurde. Murakamis Stil - oft sehr surreal mit märchenhaften Elementen und zugleich vielen Bezügen zur internationalen Popkultur, besonders der Musik - hat weltweit Fans gefunden. Der Japaner, der zwischenzeitlich als Gastprofessor an US-Universitäten tätig war, hat sich außerdem mit zeitgeschichtlichen Momenten auseinandergesetzt. Etwa in dem Band "Untergrundkrieg", der Interviews mit Überlebenden und Opferangehörigen des Giftgasanschlags auf die Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 enthält. Im sich verschärfenden Konflikt zwischen China und Japan publizierte Murakami 2013 einen Appell in der japanischen Presse: Nationalismus sei "wie billiger Alkohol", er mache "betrunken und hysterisch" - man müsse vorsichtig sein mit Politikern und Polemikern, die "diesen billigen Alkohol einschenken und Randale schüren". Im Interview mit dem SZ-Magazin 2010 erklärte Murakami, letztendlich gehe es ihm darum, "jungen Menschen zu zeigen, was Idealismus bedeutet".

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(Foto: Alejandro Garcia/imago)

Rang 1: Ngũgĩ wa Thiong'o Geboren 1938 in Kamiriithu, Kenia Sprache ist für Ngũgĩ wa Thiong'o nicht nur Ausdrucksmittel, sondern ein Thema für sich. Der Kenianer, der bereits zum dritten Mal in Folge als erster Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis gehandelt wird, lebt und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Englisch (dem Vermächtnis der einstigen britischen Kolonialherren) und Kikuyu - der Sprache von etwa acht Millionen Menschen, der größten ethnischen Gruppe Kenias. Ngũgĩ wa Thiong'o ist tief geprägt vom Kampf um die Entkolonialisierung seiner Heimat in den 1950er und 60er Jahren, in den auch seine Familie verwickelt war. Weshalb er in den 1970ern beschloss, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, denn: "Sprache war das Mittel der geistigen Unterjochung." Diese radikale Entscheidung und das Stück "Ich werde dich heiraten, wann ich will" (1977) brachten den Autor in Konflikt mit der damaligen Kenyatta-Regierung und zeitweilig ins Gefängnis. Im folgenden Exil lehrte der Literaturwissenschaftler unter anderem in Yale, New York und Kalifornien. Seine Bücher, "Decolonizing the Mind", das autobiografische "Träume in Zeiten des Krieges - eine Kindheit" oder der 1000-Seiten-Roman "Herr der Krähen" über einen größenwahnsinnigen fiktiven Despoten kreisen um Vergangenheit und Gegenwart Afrikas. Ngũgĩ wa Thiong'o steht seit Jahren immer wieder an der Spitze der Favoriten für den Nobelpreis. Eine Entscheidung für ihn wäre zugleich eine gegen die Dominanz des westlichen Blicks.

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