Literaturfestival:Nach "nach Köln"

'Auch ihr seid jetzt Deutschland' Charity Evening In Cologne

Til Schweiger bei der Benefiz-Gala der Lit. Cologne. Der Erlös geht an die Til-Schweiger-Foundation, zugunsten von Sprachunterricht für Flüchtlinge.

(Foto: Ralf Juergens/Getty Images)

Die 16. Lit.Cologne bekennt sich zur Willkommenskultur, unter anderem mit einer großen Benefiz-Gala in der Lanxess-Arena.

Von Hans-Peter Kunisch

",Sag mal, bist du etwa Jude?' - 'Meine Mutter war in Theresienstadt.' - 'Meine war in Auschwitz.' - 'Auch nicht schlecht.'"

So sah, der Legende nach, das erste Treffen zwischen Jacky Dreksler und Hugo Egon Balder aus: zwei Juden im deutschen Showgeschäft, gut geeignet, den Kulturbetrieb aufzumischen. Der Berliner Balder, als Schlagzeuger gerühmt, bevor er zum bekannten RTL-Busenmaster wurde; der Kölner Dreksler, von Heino bis Charles Aznavour als Songtexter geschätzt.

Jüdischer Witz trifft auf die biedere deutsche Showszene? Wie hält er das aus? Das Gespräch um Drekslers Autobiografie "Ich wünsch dir ein glückliches Leben", hätte einer der spritzigeren Abende der 16. Lit.Cologne werden können. Doch leider passierte ein kleiner Fehler. Statt den beiden Freunden, mittlerweile 66 und 70 Jahre alt, im großen Saal des WDR Gelegenheit zu geben, sich durch ihr vielseitiges Leben in Nachkriegsdeutschland zu scherzen, engagierte man Randi Crott als Moderatorin. Deren lebensgeschichtliche Nähe (der Vater war ein Jude, der sich in der Wehrmacht versteckte, was sie erst spät erfuhr) hielt sie leider nicht davon ab, eine zerstörerisch betulich-besorgt pädagogische Atmosphäre zu verbreiten. Selbst als der schlagfertige Balder ehrlich begeistert aufatmete: "Das ist mal eine interessante Frage!", begriff sie nichts.

Schade: Die Lit.Cologne bekennt sich gern auch zum Boulevard, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, ihm Interessantes zu entlocken, kriegt man es mit der Angst zu tun. Dabei braucht es oft wenig, um etwas zu erreichen: Tags zuvor füllten über 7000 Zuschauer die Lanxess-Arena, in der sonst die Kölner Haie spielen. Jetzt war Platz für die Benefiz-Gala der Til-Schweiger-Foundation, zugunsten von Sprachunterricht für Flüchtlinge, noch vor Silvester geplant. Einmütig beharrte man auf der Richtigkeit der Willkommenskultur, mal mehr, mal weniger emphatisch. Herbert Grönemeyer beispielsweise bezeichnete die Flüchtlinge als "erste Herausforderung" in den bald sechzig Jahren seines Lebens "in diesem Land".

Der beste Fürsprecher der Migranten aber war an diesem Abend wohl Wladimir Kaminer, der die Menge zum Lachen brachte, indem er groteske Geschichten über Pakistani, Tadschiken und "andere Syrer" erzählte, die über die Russland-Route per Fahrrad durch den Schnee nach Finnland gelangten, um dort von der Finnischen Sauna-Gesellschaft, dem Hort der Integration, mit ungeduldigen Sprüchen wie "Hosen runter" begrüßt zu werden. Die freundliche Respektlosigkeit, mit der Kaminer die Flüchtlinge weder als Heilige noch als Verbrecher, sondern als mit menschlichen Fehlern behaftet zeichnete, wirkte allemal befreiend.

Das Festival war in diesem Jahr von übergreifenden Themen jenseits der Literatur geprägt

Kaminers beiläufige Schlauheit schien auch gut zu jener der syrischen Band Khebez Dawle zu passen, die ihre Instrumente verkaufte, um auf ein Schlauchboot zu kommen, dann den Touristen auf Lesbos als Erstes ihre CDs in die Hände drückte. Das machte sie bekannt und erlaubt ihnen, jetzt in Deutschland vor großem Publikum zu spielen.

Wie gut sich Migranten fühlen können, die es geschafft haben, sich im Westen zu etablieren, sah man auch an einem Abend mit der kenianischen Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor und ihrer elf Jahre jüngeren Förderin Taiye Selasi - durch den Begriff "Afropolitain" und ihren Roman "Diese Dinge geschehen nicht einfach so" inzwischen weltberühmt.

Neben Taiye Selasi wirkte ihr Lit.Cologne-Patenkind Owuor, deren Roman "Der Ort, an dem die Reise endet" von der gewalttätigen jüngeren Geschichte Kenias erzählt, noch gar nicht so recht afropolitain. Aber es war schön zu sehen, wie begeistert Selasi, die den Roman für die New York Times besprochen hat, ohne Owuor zu kennen, auf deren ungebrochenes Zugehörigkeitsgefühl zu Kenia reagierte. Dem "wir Kenianer", das Owuor, bei aller Kritik an der Politik, ganz selbstverständlich von den Lippen ging, konnte Selasi nur mit ihrem individuellen, postkolonialen "Ich" begegnen. Beide mochten sich sofort. Weil jeder das fehlt, was die andere hat.

Die über hundert Veranstaltungen der 16. Lit.Cologne boten wieder ein buntes Allerlei. Da wirken sichtbare Versuche, aus dem Quotenbetrieb herauszukommen und übergreifende Themen zu finden, besonders interessant: etwa die Auseinandersetzung mit der Tradition. Die an sich gute Idee, im Mühlheimer Depot, der Ausweichspielstätte des Kölner Theaters, ein paar Schriftsteller "Hänsel und Gretel" aktuell weitererzählen zu lassen, war allerdings bedingt erfolgreich. Schematisch wurden die Schriftsteller auf ihr Sprüchlein reduziert. Von Clemens Meyer hätte man gern gewusst, wie er zu seiner wilden, dunkel sexgeschmückten Geschichte gekommen ist. Doch die Texte blieben beinahe unverbunden nebeneinander stehen.

Viel besser klappte da Paul Ingendaays, von Nina Kunzendorf unterstützte Liebeserklärung an Henry James' "Portrait of a Lady". Anlass war der 100. Todestag des Schriftstellers. Im Stil eines freundlich-analytischen Conférenciers und Literaturverführers, der sein Publikum direkt ansprach und einbezog, entstand eine große Nähe zu einem zeitlosen Text. Und das ist manchmal schon alles, was solch ein Festival braucht.

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