Literaturfestival Berlin:Die doppelte Klaviatur

Zum 15. Jahrestag der Anschläge vom 11. September hat das Internationale Literaturfestival Berlin einen Schwerpunkt "Islamismus". Er zeigte, wie schwierig es ist, politische und literarische Perspektiven zu verknüpfen.

Von Samir Sellami

"Nichts macht einen Menschen kaputter als die Verpflichtung, ein Land zu repräsentieren", schrieb Jacques Vaché aus dem Schützengraben an seinen Freund André Breton. Einiges mehr wird Intellektuellen aus islamischen Herkunftsländern abverlangt, wenn sie zu deutschen Kulturveranstaltungen eingeladen werden. Unterstützt von westlichen Experten, sollen sie stellvertretend Zeugnis ablegen von der Mentalität der Bewohner jener Landmassen, die sich zwischen Rabat und Jakarta über drei Kontinente erstrecken.

Das diesjährige Internationale Literaturfestival Berlin hatte seinen Schwerpunkt zum "Islamismus" offenkundig im Blick auf den fünfzehnten Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center angesetzt. Chahla Chafiq, Mehdi Mozaffari (beide Iran) und Taslima Nasrin (Bangladesch) wiederholten die Thesen des vor zehn Jahren von Charlie Hebdo gedruckten "Manifestes der 12"; der französische Richter und Terrorismusexperte Mark Trévidic sprach mit dem für die dänischen MohammedKarikaturen verantwortlichen Redakteur Flemming Rose über die "Kunst der Blasphemie". Rasch war man sich einig, dass Blasphemie immer im Auge des Betrachters liege und man nicht gegen Götter, sondern nur gegen Gläubige lästern könne.

Rose erklärte es für unabdingbar, die Beleidigung religiöser Empfindungen in Kauf zu nehmen. Jegliche Art der Selbstzensur führe zu einer "Tyrannei der Stille" (so der Titel seines Buches). Trévidic merkte spöttisch an, die französische Öffentlichkeit empfinde Burkinis offenkundig als Blasphemie gegen die zur Religion überhöhten Ideale der Republik. Moderiert wurde die "Kunst der Blasphemie" wie auch das Gespräch zum "Manifest der 12" von Wolfgang Herles, dessen Projekt für den Abend offensichtlich darin bestand, Publikum wie Gesprächspartner mit dem Kampfbegriff der "offenen Gesellschaft" zu hypnotisieren. Aus diesem Geist heraus wurde viel Selbstverständliches zur politisch inkorrekten Botschaft hochstilisiert: dass der Islamismus eben doch etwas mit dem Islam zu tun habe (Chafiq), dass die Burka ein frauenverachtendes Unterdrückungsinstrument verblendeter Patriarchen sei (Nasrin), dass sich konservative islamische Gruppierungen gerne hinter dem Schutzschild vermeintlicher Islamophobie verschanzen (wiederum Chafiq).

Es ist nur verständlich, dass gerade im Exil lebende Intellektuelle jede Bühne für ihre politischen Forderungen nutzen. Auch ihre Enttäuschung ist nachvollziehbar, angesichts des Zögerns vieler westlicher Verbündeter, sich entschiedener mit ihnen zu solidarisieren, statt sich mit den rituellen Warnungen vor Pauschalisierung und Islamophobie zu begnügen. Dennoch hinterlassen solche Veranstaltungen zuverlässig den Eindruck, es gehe in ihnen weniger um das Verständnis von Zusammenhängen als darum, sich der Überlegenheit "offener Gesellschaften" zu vergewissern.

Die intendierte politische Geste blieb das Festival letztlich schuldig

Zur Abwechslung durfte Mehdi Mozaffari das Publikum mit zwei entgegengesetzten Wörterlisten unterhalten, die das gut etablierte Narrativ der kulturellen Dekadenz des Islam bespielten: Algebra, Alchimie und Alkohol auf der Seite der historischen Errungenschaften - Allahu Akbar, Sharia und Şiş Tavuk auf der Seite der desillusionierenden Gegenwart. Auf die selbstgestellte Frage, was Moslems denn heute für die Welt Relevantes produzierten, antwortete Mozaffari: "Erstens: Öl und Gas. Zweitens: Terrorismus. Drittens: Falafel, Schawarma und Hummus."

Wer darüber nur mit Unbehagen lächeln kann, ist selber schuld. Was nicht heißen muss, dass Mozaffari mit seiner humoristischen Einlage das letzte Wort haben sollte. Es gehört zu den Aufgaben eines Literaturfestivals, über seine Drei-Punkte-Liste hinaus eine vierte Domäne der Produktivität zu erschließen, die künstlerische. Darum bemüht sich das diesjährige Festival durchaus, indem es Gedichte von Flüchtlingen ausstellt und renommierte Autorinnen aus der arabisch-islamischen Welt über ihre Texte sprechen lässt.

So stellte Zeina Abirached ihre Graphic Novel "Piano Oriental" vor, in der ihr Urgroßvater aus Beirut nach Wien reist, um sich dort ein speziell präpariertes Klavier bauen zu lassen. Mithilfe des mittleren Pedals kann dieses Klavier, das als einsamer Prototyp noch immer im Familienbesitz der Abiracheds ist, mühelos zwischen der wohltemperierten Stimmung und dem orientalischen Tonleitersystem hin- und herwechseln. Für einen kurzen Moment sind Orient und Okzident durch nichts mehr als einen Viertelton getrennt. Doch vermieden es Abirached und ihr Moderator Andreas Platthaus klugerweise, daraus eine versöhnliche Utopie zu basteln, sondern brachten dem beglückten Publikum lieber die einzige Tonaufnahme zu Gehör, die vom Spiel des Urgroßvaters auf diesem kuriosen "zweisprachigen Klavier" existiert.

Man wünschte sich, gerade in den dezidiert politischen Veranstaltungen, mehr von solcher Versenkung ins Detail. Vielleicht gönnt es sich das Festival im nächsten Jahr, die Beteiligten nicht darauf zu verpflichten, für 1,5 Milliarden Menschen zu sprechen, sondern zunächst einmal nur für ihr eigenes Projekt. Und über politische Aspekte nur insofern, als sie sich aus der Ästhetik ihrer Werke herleiten lassen. Vielleicht ginge davon die politische Geste aus, die das Berliner Literaturfestival mit seinem Islamismus-Schwerpunkt letztlich schuldig geblieben ist.

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