Literaturfest München:Wind ist kälter als Schnee

Gipfeltreffen der Nobelpreisträgerinnen: Swetlana Alexijewitsch und Herta Müller sprechen über Sprache und Poesie in der Diktatur.

Von Sonja Zekri

Treffen sich zwei Literaturnobelpreisträgerinnen, nein, das ist doch ein etwas salopper Anfang für einen Text über Herta Müller und Swetlana Alexijewitsch. Nur: So war es. Müller und Alexijewitsch trafen sich am Freitag zum Auftakt des Literaturfests in München zu einem Gespräch über "Sprache und Poesie in der Diktatur", moderiert von SZ-Feuilletonredakteur Jens Bisky, beide voller Neugier, voller Fragen, denn sie waren sich nie begegnet. Der Saal der Ludwig-Maximilians-Universität platzte aus allen Nähten.

Beide trennt vieles: Herta Müller, strenger Look, gelöster Auftritt, lebt seit 1987 in Deutschland und schreibt - oft autobiografisch - über die rumänische Diktatur unter Nicolae Ceaușescu in Büchern wie "Niederungen" oder "Atemschaukel". Swetlana Alexijewitsch lebt bis heute in einer Diktatur, in Weißrussland, komponiert Interviews zu "Romanen in Stimmen" über den "sowjetischen Menschen" als Prägung, Geisteshaltung, Schicksal bis heute - in "Tschernobyl" etwa oder "Secondhand-Zeit". Und die Unerschütterlichkeit, mit der sie vom zerfallenden Leib eines Feuerwehrmannes nach dem Tschernobyl-Einsatz erzählt, lässt ahnen, warum sich ihr so viele Menschen anvertrauen: Weil sie die Kraft besitzt, die Beschreibung noch der schlimmsten Qual, des furchtbarsten Verbrechens zu ertragen.

Sprache in der Diktatur besteht für beide aus vielen Sprachen, der blechernen, feindseligen des Apparats, der Propaganda, des Verhörs, über die Herta Müller erzählte, die in Rumänien stets in makellosem Make-up zur Vernehmung erschien, um zu zeigen, dass sie sich "nicht aufgegeben hatte", aber auch, weil die Schönheit ihr Schutz bot. Die Sprache der Unterdrückten hingegen war oft das Schweigen, nicht so sehr über den Krieg, als über das Lager, jenen Ort, der "außerhalb menschlichen Verständnisses" lag, wie Alexijewitsch es nennt. Dieses Ungesagte begleitete Herta Müller durch ihre Kindheit, Sätze wie "Wind ist kälter als Schnee", in dem ihre Mutter, ehemalige Lagergefangene, allen Schrecken benannte und zugleich verbarg.

Was aber tun, wenn sich die neue alte Sehnsucht nach autoritären Systemen und nationaler Größe plötzlich in einer verrohten, verlogenen Sprache ausdrückt? Wenn Sprachkünstlerinnen, Chronistinnen des Unrechts wie sie nicht mehr gehört werden? Alexijewitsch, nicht ohne Wehmut: "Freiheit ist ein schwieriges Projekt." Vielleicht müssen beide den Gegenstand ihrer künstlerischen Betrachtungen bald ausweiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: