Literatur:Wohin das Herz trägt

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Eine lebhafte Diskussion in der Akademie der Schönen Künste

Von Antje Weber, München

Die Frage ist ja schon etwas schräg: "Wozu noch Literatur?" Unter diesem Motto sollte in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste am Montag denn auch keine absurde Diskussion über die Nützlichkeit von Romanen angestoßen werden. Eine gewisse Dringlichkeit wollte der Schriftsteller und in diesem Fall Moderator Georg M. Oswald dem Thema allerdings schon geben und rief angesichts des "noch" in der Frage gleich mal den "Notstand" aus. Druck des Marktes, Digitalisierung, Niedergang der Printmedien, weniger Leser mit verändertem Leseverhalten - das waren nur einige der ja wirklich "besorgniserregenden Fragen", die er eingangs aufwarf. So richtig beantwortet wurden sie, wie kaum anders zu erwarten war, an diesem Abend nicht. Doch das störte, angesichts eines lebhaften Schlagabtauschs, wohl niemanden im Publikum.

Ob das an den jugendlichen Temperamenten lag, die man gezielt eingeladen hatte? Bereits vor einem Jahr hatte sich ein illustrer Kreis aus Schriftstellern und Literaturkritikern von Sibylle Lewitscharoff bis Sigrid Löffler der Wozu-Frage ausgesetzt und pessimistisch gezeigt; diesmal sollte eine jüngere, ebenfalls gut besetzte Runde das Thema umkreisen: die Zeit-Literaturkritikerin Marie Schmidt und der Schriftsteller Jonas Lüscher - letzterer frisch in die Akademie aufgenommen -, außerdem in Doppelrollen der Journalist und Hanser-Lektor Florian Kessler sowie der FAZ-Theaterkritiker und Autor Simon Strauß.

Eigentlich, so Schmidt in der Anfangsphase, streite man in der jüngeren Generation von Autoren und Kritikern ja nur selten über ästhetische Fragen: "Wir haben uns gern, sind aus demselben Milieu und treffen uns beim Poetry Slam." Überrascht und erfreut stellte jedoch nicht nur sie an diesem Abend fest: Es gibt sie noch, die Unterschiede, und manchmal sind sie richtig schön groß. Besonders tief war der Graben zwischen Schmidt und Strauß, als es um das Wesen der Kritik ging. Denn nicht nur mit seinem viel diskutierten Buch "Sieben Nächte" wollte Strauß "zum Kern meiner eigenen Empfindung kommen". Auch als Kritiker geht es ihm darum, "Fragen an das eigene Herz zu stellen". Die Stärke des Affekts dürfe nicht das Wichtigste sein, konterte Marie Schmidt: "Ich bin für Argumente, gegen Emphase." Sie wollte im Übrigen auch nicht von einer "Legitimationskrise" der angestammten Feuilleton-Kritik sprechen, die Oswald angesichts der Flut von Amazon-Rezensionen heutzutage witterte: "Es gab immer schon beide Formen des Lesens", beide seien legitim. Während Florian Kessler in diesem Sinne die "vielfachen Filter" beschwor, die heute nebeneinander existieren, war Jonas Lüscher doch besorgt angesichts manch "anti-intellektuellen Ressentiments".

Doch was ist nun, Kritik beiseite, mit der Literatur selbst? Wie könnte eine neue Ästhetik, eine neue Sprache aussehen? Lüscher zum Beispiel, zuletzt mit seinem Roman "Kraft" erfolgreich, setzt dabei unter anderem ausgerechnet auf lange Sätze. Sie bilden für ihn ab, wie wir Menschen uns durch die Welt bewegen, wie eines aus dem anderen folge - "ein kontrolliertes Fallen". Das ist ein eigenwilliger Gedanke, dem man Zeit geben möchte, entsprechend langsam zu sacken. Wie sagte doch Strauß abschließend: "Literatur ist ein Ort, wo das widerständige Sprechen sich ausprägen kann." Und Podien wie in der Akademie sind - im besten Fall - Orte, um sich darin auszuprobieren.

© SZ vom 16.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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