Literatur-Werbung:Bis der Kopf platzt

Beschwingt, ironisch, leichtfüßig, verstörend, unwiderstehlich, fragil und berauschend: Bei der Lektüre von Literaturkatalogen pfeift es in den Ohren.

Alex Rühle

Der 80. Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki hat mir einige der schrecklichsten Wochen meines Lebens eingebracht. Ein deutscher Verlag hatte die Idee, den Großkritiker mit einem Buch zu ehren. Laut Auftrag sollte "das Beste aus dem Quartett" destilliert werden. Ich war der Destillator.

Literatur-Werbung: Literaturkataloge lieben Adjektive und Superlative und lobsingen, dass einem der Kopf schwillt.

Literaturkataloge lieben Adjektive und Superlative und lobsingen, dass einem der Kopf schwillt.

(Foto: Foto: ddp)

Das heißt, ich musste für einen Hungerlohn alle Sendungen anschauen, alle, von der ersten bis zur letzten, von der ersten bis zur letzten Minute und dann die jeweils angeblich "besten Stellen" exzerpieren.

Das Quälende daran waren nicht so sehr die ewigen Nicklichkeiten, wobei man nach einigen Sendungen am Stück auf Anhieb wusste, wer was auf wen sagen würde. Nein, das Niederschmetternde waren die Hohlformen des Lobes, all die Tautologien und Hülsen, mit denen insbesondere Marcel Reich-Ranicki und Hellmuth Karasek einander fortwährend bewarfen.

Vielleicht kann man ermessen, wie grässlich der Selbstversuch der vergangenen Tage war, wenn ich sage, dass ich mich da nach Reich-Ranicki und Karasek sehnte.

Poetologie des Waschzettels

Diesmal war die Aufgabe: Alle aktuellen Kataloge der Literaturverlage durchzulesen und daraus eine Art Poetologie des Waschzettels zu verfassen. Hätte man mich zu einem Deathmetal-Festival geschickt, die Folgen hätten dramatischer kaum sein können. Nach drei Tagen hatte ich das Gefühl, an Tinnitus zu leiden, so laut pfiffen die Adjektive!

Fangen wir also mit dem Offensichtlichsten an, den Adjektiven. Bücher werden eigentlich ausschließlich mit Adjektiven beworben.Und zwar mit so vielen, dass man am Ende kein einziges behalten hat.

Ein Beispiel, beliebig herausgegriffen. Suhrkamp behauptet, Hans-Ulrich Treichels neuer Roman "Der Papst, den ich gekannt habe" sei beschwingt, ironisch, herrlich komisch, leichtfüßig und verstörend, unwiderstehlich, fragil und berauschend schnell.

Da einfache Adjektive alleine es aber anscheinend nicht mehr bringen, überzuckert man die Texte auch noch noch mit Superlativen. Wiederum ein beliebiges Beispiel, diesmal aus dem Katalog des Insel-Verlags: Die Taschenbuchausgabe von Eugene Sues "Geheimnisse von Paris" ist "einer der spannendsten und furiosesten Romane der europäischen Literatur", "gehört zum Besten, was die europäische Literatur des 19. Jahrhunderts geschaffen hat", "wurde geschrieben von einem der meistgelesenen Autoren des 19. Jahrhunderts" und "wurde 1843 schlagartig zum Bestseller." Kurzum: "Das muss man gelesen haben."

Lesen Sie auf Seite 2, was ein "Blurb" ist.

Bis der Kopf platzt

Eine Abart des Superlativs ist die Fülle: Auf vier Seiten hintereinander heißt es im Luchterhand-Katalog über vier verschiedene Bücher: "Eine klassische Weihnachtsgeschichte voller Charme und Witz", "Ein fulminantes Buch voller Komik und Ironie", "Ein grandioser Roman voller absurdem Witz" und "Ein Mann voller Geheimnisse".

Ob das immer schon so war? So dröhnend, so angekokst, so manisch laut? Anscheinend schon. Gérard Genette hat in "Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches" die Geschichte und Bedeutung des "Waschzettels" oder Klappentextes skizziert, - von der Frühform des "Prière d'insérer", also einer an die Presse gerichteten "Bitte um Einfügung" des vorgefertigten Textes in die Zeitungsseiten, bis zum heutigen Klappentext.

Die ersten Zusammenfassungen zu Büchern gab es im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Diderotschen "Encyclopedie". Auch damals schon wurde hemmungslos gelobhudelt.

Anfang des 20. Jahrhunderts fingen die Verlage dann damit an, diese Texte den Rezensionsexemplaren in Form loser Blätter beizulegen. Als Großmeister des Klappentextes galt seinerzeit Emile Zola, der seine eigenen Romane beinhart über den grünen Klee lobte. Aus dieser Zeit stammt auch das englische Wort "Blurb", das schon im "Burgess Unabridged Dictionary" von 1914 so definiert wird:

1. Flamboyante Werbung; begeistertes Zitat 2. Vollmundiges Lob auf Buchumschlägen; meist voller liebedienerischer Adjektive und Adverbien, die behaupten, ebendieses Buch sei "die Sensation des Jahres".

Gegenseitige Lobeshymnen

Besonders gern drucken Verlage natürlich Blurbs bekannter Autoren. "Ein hinreißend schönes Buch mit einem wunderbaren Sinn für Humor und einem Hauch von Tragik" - Luchterhand gefiel Bernhard Schlinks hinreißend genau abgeschmecktes Lob mit einem Hauch von Blasiertheit so gut, dass es Hugo Hamiltons neues Buch auf ein und derselben Seite gleich zweimal damit bewirbt.

In Amerika sind Blurbs noch beliebter als bei uns. Man fragt dort befreundete Autoren, ob sie das eigene Manuskript nicht einfach unbesehen gut finden können und diesem Gutfinden in vier Zeilen, die sechs positiv konnotierte Adjektive enthalten sollten, Ausdruck verleihen können.

Man macht das natürlich wechselweise füreinander, und zwar derart schamlos, dass das amerikanische Spy Magazine jahrelang eine eigene Kolumne mit dem Titel "Logrolling in Our Times", also etwa "Gegenseitige Unterstützung in unseren Zeiten" führte, in der einzig kommentiert wurde, welche Schriftsteller einander diesmal wieder gegenseitige Lobhudeleien schrieben.

Lesen Sie auf Seite 3, wieviel ein Autor für die lobenden Worte von Kollegen aif den Tisch legen muss.

Bis der Kopf platzt

Die New Yorker Firma Blurbings LLC setzt sich seit kurzem die verdienstvolle Aufgabe, solche Blurbs für amerikanische Autoren zu organisieren, die nicht mit John Updike auf du und du sind und auch ansonsten kein Aas aus dem Literaturbetrieb kennen.

Einen Blurb von einem bekannten Autor an Land zu ziehen, kostet bei Blurbings LLC 14 bis 23 Dollar, rechnet die Firma auf ihrer Homepage vor, "die 30 bis 50 Standard-Blurbs, die Sie für die Bewerbung Ihres Buches brauchen, kosten Sie zwischen 420 und 1150 Dollar."

Das Problem ist natürlich, dass es trotz der hohen Preise am Ende nicht Updike und Roth sein werden, die das neue Buch von XY handlungstechnisch hervorragend gemeißelt und die Lektüre als sprachlich federndes Vergnügen erleben, sondern unbekannte Studenten oder Internauten, die sich auf die Homepage dieser Firma verirren.

Ähnlich scheint der Suhrkamp-Verlag einige seiner Blurbs zu generieren. "Die Kunst im Chor zu weinen", der Roman des Schweden Erling Jepsen, wird beworben mit den Worten "Ein ganz ungewöhnlicher Roman - tragisch, komisch, unheimlich, man legt ihn nicht mehr aus der Hand". Was daran ungewöhnlich sein soll, sei dahingestellt.

Wenn Darwin "Krieg der Welten" geschrieben hätte

Das Interessante ist, dass dieser Blurb zwar in Anführungszeichen steht, was ja eine Art Street Credibility signalisieren soll, dass da also jemand außerhalb des Verlags gesprochen hat, dass dieser jemand aber nur als B. T. bezeichnet wird.

Überhaupt: Suhrkamp. Bei denen fällt länger schon ein bizarrer Manierismus auf. Im vergangenen Jahr hieß es über einen Band zu Walter Benjamin: "Von einer Sensation ist zu berichten." Diesmal wird Julia Zange mit den Worten "Eine Autorin ist zu entdecken", angekündigt, was zweifelsohne richtig ist, veröffentlicht sie doch hier ihr Debüt. "Anzukündigen ist" aber auch " die Erstveröffentlichung zweier Texte von Max Frisch." Kurzum: Von einer Marotte ist zu berichten, Satzverschraubung ohne Nutz und Gewinn, kommt nur ein wenig pompöser, staatsrednerhafter daher.

Und von noch einer Neuerung bei Suhrkamp ist zu berichten. Dietmar Dath wird zwar erst mal standardmäßig abgefeiert: Er selbst "der Größte unter den jüngeren Autoren", sein Werk "eine der inspirierendsten Romanwelten, in denen man heute leben kann", also alles ganz normaler Katalogdurchschnitt. Über seinen neuen Roman "Die Abschaffung der Arten" aber heißt es: "Wenn Charles Darwin 'Krieg der Welten' geschrieben hätte, vielleicht wäre ein Buch wie dieses herausgekommen."

Solcherlei Beschreibungen eines Werkes durch das Vermengen anderer Werke oder Autoren war früher der Musikindustrie vorbehalten, die einem seit Jahr und Tag erklärt, x klinge so, als hätte y sich an einer Neuinterpretation von z versucht, beziehungsweise diese Rockband liege klanglich irgendwo zwischen Fusion-Reggae und Schredderpunk mit einer Nuance westschottischen Grunges darin.

Lesen Sie auf Seite 4, wie Bücher in Papua-Neuguinea angekündigt werden.

Bis der Kopf platzt

Seit einigen Jahren übernehmen die Verlage diesen Unsinn. In dieser Saison ist Lilian B. Rubin "der weibliche Oliver Sacks" (Patmos), Felicia Zeller "eine schwäbische Jelinek" (Lilienfeld) und Jan Graber "süffiger als eine Lesung und schlauer als Rock'n'Roll".

Das Gegenteil von Rock'n'Roll, nämlich sprachliches Classic Radio sind Ankündigungen von Büchern, in denen es um Liebe geht. Suhrkamp dichtet: Carole L. Glickfeld hat "eine wundertraurige, komische Geschichte geschrieben, Louise Erdrich eine "amüsante, bittersüße Liebesgeschichte", und Edvard Hoem "einfach nur wunderschön poetisch, liebevoll, still und unaufgeregt".

Danach ist die Ankündigung eines Gulag-Romans eine richtiggehende Wohltat. Und es hat etwas von Fastenkur, nach all dem klebrigen Adjektivkonfekt die staubtrockenen Texte zu den stw-Bänden zu lesen, zu Lévi-Strauss, John Dewey und den anderen Theoretikern. Kein Superlativ. Kein Blurb. Nichts Liebenswertes, wundertraurig Bittersüßes. Einfach auf 30 Zeilen ein Thema umrissen. Danke, ihr Lektoren, habt Dank für diese graue, kluge Arbeit!

Und man wünscht sich, dass einmal, ein einziges Mal ein Verlag schreibt, tut uns leid, unser Autor war diesmal geistig etwas indisponiert und hat sich auf den 430 Seiten auch sprachlich grob einen von der Palme gewedelt, aber wir schätzen ihn und ein Schuss in den Ofen wird ja wohl mal erlaubt sein.

Na ja, vielleicht ein bisschen viel verlangt. Aber muss denn wirklich alles nur immer noch pompöser werden? Grisham-Bücher werden mittlerweile über acht Seiten angekündigt, wovon ganze vier Seiten nichts als Power-Point-Halbsätze sind.

Auswandern nach Papua-Neuguinea

Wann hat überhaupt der Power-Point Einzug gehalten in die Verlagsprogramme? Und wozu? Sollte per Power Point nicht das ganz und gar Besondere an einem Buch hervorgehoben werden? Stattdessen bekommt man durch die Special Highlights, die powerpointiert werden, den Eindruck, in den Verlagen sei lange schon Schmalhans Küchenmeister.

"Deko-Plakat!", schreibt Heyne als wichtigsten Punkt zu Tanja Heitmanns "Morgenrot". Und am Schillerkalender 2009 des Artemis-Verlags scheint besonders hervorhebenswert zu sein, dass der Kalender doch tatsächlich "ein Blatt pro Woche" enthält. Vielleicht könnte man noch betonen, dass die Bücher aus Papier sind und durchnummerierte Seiten haben.

Was bleibt zu tun? Auswandern nach Papua-Neuguinea, in ein Seitental des Karawari im Süden der East Sepik Province, dort wohnt ein Volk, das sich auf Yimas unterhält, einer Sprache, die nur vier Adjektive kennt: groß, klein, gut, schlecht. Die müssen ihre Literaten zwangsweise anders ankündigen.

Oder hierbleiben und Schopenhauers "Parerga und Paralipomena" lesen. Darin heißt es, genauso schwer wie die Kunst des Lesens sei "die Kunst, nicht zu lesen: Um das Gute zu lesen, ist eine Bedingung, dass man das Schlechte nicht lese: denn das Leben ist kurz, Zeit und Kräfte beschränkt."

Ah, Schopenhauer, das war eben noch einer dieser wirklich großen und wundertraurigen Autoren mit einem Hauch von Menschenhass. Oder frei nach Marcel Reich-Ranicki: "Wir stehen selbst enttäuscht und seh'n betroffen den Vorhang zu und alle Phrasen offen."

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