Literatur:Verhängnis des Verdrängens

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Der Bestseller-Autor Jan Weiler hat erstmals einen Krimi geschrieben: "Kühn hat zu tun" spielt in einem fiktiven Münchner Vorort - und im Kopf eines überforderten Polizisten

Von Anna Steinbauer

Schnippikäse, Pferd und Narbe. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Zumindest für Polizeihauptkommissar Martin Kühn. Schon seit längerem hat er mit seinem wüsten Kopfkino zu kämpfen, bei dem sich Gedanken über Vergangenes, Fantasien und gegenwärtige Nöte verdichten und ihn abwesend erscheinen lassen. "Kaskaden von Gedanken und Bildern" suchen den Protagonisten des neuen Romans "Kühn hat zu tun" von Jan Weiler heim. Der tägliche Einkaufszettel, Geldsorgen, sein pubertierender Sohn, der in rechtsradikale Kreise abzurutschen droht, beschäftigen Kühn ebenso wie die rothaarige Nachbarin, Blut und sein stinkender Keller. Arbeiten kann man so natürlich schlecht, noch dazu, wenn man Polizist ist. Burnout, Überforderung oder einfach nur Midlife-Crisis? Dazu kommen ein von sadistischen Nazis verpestetes Erdreich - und ein Mord.

Nach "Maria, ihm schmeckt's nicht!" und "Das Pubertier" hat der Bestseller-Autor diesmal einen Krimi geschrieben. Obwohl Weiler sein Buch eher als Großstadt- oder Gesellschaftsroman sieht: "Es geht mir nicht um die Lösung eines komplizierten Falles", sagt er. "Es ist mir wichtig, das Leben und den Zustand des Protagonisten zu schildern. Ein Polizist ist er nur deshalb, weil er aufregender ist als ein Sachbearbeiter."

Lebensmittelpunkt und Tatort in "Kühn hat zu tun" ist der kleine Mikrokosmos namens Weberhöhe, ein fiktives Neubaugebiet am westlichen Münchner Stadtrand. Eine Tetris-Siedlung, architektonisch ineinander verschachtelt. Integrativ und inklusiv, die Mülltonnen sind farblich sortiert. Beim Recherchieren für das Buch suchte sich Weiler auf Google Maps einen Ort aus, an dem kurz darauf tatsächlich ein solches Neubaugebiet entstand: die Aubinger Lohe. Den Gedanken an die Vorstadt findet Weiler wesentlich unheimlicher als den an den Mörder: "Ein Mörder ist doch ein eher singuläres Ereignis. Das Scheitern der Utopien vom mehrgenerationenfreundlichen, multikulturellen Wohnen und der Durchmischung von Eigentum und Mietsimmobilien nicht." Die Siedlungswelt, in der der Kleinfamilien-Alltag Wand an Wand mit seinen unterdrückten Trieben lebt, auf dem Terrain verdrängter Gräueltaten der Nazizeit, beschreibt Weiler ziemlich detailgetreu und beinahe unerträglich treffend. Das mag daran liegen, dass der Autor es vorzüglich versteht, die Schraube des guten Geschmacks immer noch ein bisschen weiterzudrehen, so dass grotesk-absurde Szenarien entstehen. So lässt Weiler den Vater des Protagonisten an einem Sonntag während der Bundesligakonferenz beim Spargelstechen sterben. Für den damals noch jugendlichen Kühn sieht der traurige Tod aus, als sei der Vater im Spargel ertrunken, und während der Beerdigung kann er an nichts anderes denken, als an die "bleiche Poritze des tot im Beet knienden Vaters." Tragik und Komik liegen nahe beieinander. Genauso wie Opferschaft und Täterschaft.

Und genau darin liegt das eigentliche Problem des 44-jährigen Hauptkommissars: Er weiß nicht mehr, was wichtig ist und auf welcher Seite er steht. In seinen Gedankenströmen mischen sich unwichtige Details mit haarscharf treffenden Schlussfolgerungen. Der Polizist leitet die Ermittlungen in einem Mordfall, der sich in seiner eigenen Nachbarschaft ereignet hat. Beim Verhör hat er das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. Straftäter und Strafverfolger hätten mehr gemeinsam, als man denke, sagt Weiler: "Eigentlich sind Polizisten und Verbrecher von einem ähnlichen Schlag. Der Polizist hat sich nur ganz einfach zu einem bestimmten Zeitpunkt dafür entschieden, ob er vorne oder hinten im Polizeiauto sitzen will."

Alles Zufall oder eine Frage der Perspektive? Genauso wie der Fall eines fiesen Waffenfabrikanten, den die Nachkriegsgesellschaft fälschlicherweise zum guten Nazi stilisiert. "Ich fand es ulkig, wie über ein Missverständnis eine Oskar-Schindler-Figur, die keine ist, plötzlich zu einem guten Menschen wird", sagt Weiler. "Die Leute mögen es, wenn sie auf diese Art beschissen werden. Außerdem ist das Gift auf der Weberhöhe eine Metapher für das Verdrängte, und dieses beschäftigt Kühn und sein eigenes Leben sehr."

Alles ist also miteinander verbunden. Mord, Entführung und Ermittlungen tragen dazu bei, das Leben und die Strukturen der kleinen Welt der Weberhöhe offenzulegen. "Wenn wir es so betrachten, ist der Schnippikäse auf der Prioritätenliste ganz oben und die Frage, was in diesem Keller ist, wird erstmal verdrängt", sagt Weiler. Wie das mit dem Pferd und einer Narbe zusammenhängt? Das Pferd wünscht sich Kühns Tochter, die Narbe ist eine Verletzung aus seiner Kindheit. Was nun aber genau Schnippikäse ist, das klären weder Weiler noch Kühn auf.

Lesung von Jan Weiler : Di., 12. Mai, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1, 29 19 34 27

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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