Literatur:Toxische Virilität

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Milieustudien im Plusquamperfekt: In seinem achten Roman setzt der Autor André Kubiczek seine Mentalitätsgeschichte des Ostens fort. Es geht um das gesellschaftliche Gefälle, das akademische Proletariat und die Spätfolgen der Wende.

Von Maike Albath

Am Ende gilt dann doch immer die Sprache der Straße: fliegende Fäuste, Mann gegen Mann, Baseballschläger, bis einer am Boden liegt. Es trifft einen Fleischklops in Bomberjacke und extragroßer Domestos-Jeans, der bei einem Imbissbudenbesitzer mit dem schönen Spitznamen "Endsieg-Matze" seine Abendration Bier und Schnaps zu sich nimmt. Der Dicke hat zuvor eine junge dunkelhäutige Frau namens Noa Snow ins Koma befördert, was die Polizei aber nicht weiß. Es läuft anders in Cottbus-Neu-Schmellwitz, wo man die Dinge lieber selbst regelt. Oder um es mit den Worten von Endsieg-Matze zu sagen: "Dit Handy lässte ma schön stecken, Kutte, dit hier eben war ne Sache unter Männern jewesen".

Sachen unter Männern stehen im Mittelpunkt des neuen Romans von André Kubiczek. Der Autor, 1969 als Sohn deutsch-laotischer Eltern in Potsdam geboren, trifft nicht nur mit dem Plusquamperfekt den Sprachgebrauch der Cottbusser Randbezirke, sondern hat auch sonst ein gutes Gespür für ostdeutsche Milieus, das Gefälle zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Sphären und die Spätfolgen der Wende. Kubiczek, der mit "Komm in den totgesagten Park und schau" seinen achten Roman vorlegt, arbeitet sich in allen seinen Büchern an der Mentalitätsgeschichte des Ostens ab. Die aktuellen politischen Zuspitzungen tauchen sein Unterfangen in ein neues Licht. Der George-Titel ist tatsächlich eine Aufforderung: Es lohnt sich, den biografischen Verwerfungen der Ost- und Westdeutschen nachzugehen und die deutsche Seele jenseits von reflexhaften Zuschreibungen zu sezieren. Herbstmelancholie, Denkerpose, Kettenhundattitüde, wohlstandsverwahrloste Abenteuerlust, Hipstertum, alles vorhanden, und immer ist viel zu viel Alkohol im Spiel.

Milieustudien im Plusquamperfekt: der Autor André Kubiczek. (Foto: Arne Dedert/picture alliance/dpa)

Kubiczek nimmt sich für seine anthropologische Romanstudie drei Vertreter der Spezies Mann vor: Es gibt den bulligen Cottbusser Veit Stark, Doktorand der Germanistik mit Schwerpunkt Lyrik, der am Ende seinem Namen alle Ehre macht. Es gibt seinen Freund und Mentor Marek Winter, einen sanftmütigen, im Osten sozialisierten Intellektuellen um die fünfzig, ein habilitierter Experte für ostdeutsche Dichtung ohne Professur, der vertretungsweise an der Berliner Humboldt-Universität unterrichten und einen abgeranzten Kellerraum als Büro nutzen darf. Und es gibt schließlich dessen Sohn Felix, Abiturient, aufgewachsen in Bonn bei einer militant politisch-korrekten Mutter, ohne jeden Kontakt zum Vater. Bei allen dreien ist etwas aus dem Ruder gelaufen, und alle drei müssen sich verstecken. "Komm in den totgesagten Park und schau" steigert sich nach und nach zu einer kuriosen Mischung aus Briefroman, Männer-Psychogramm, Erfahrungsbericht eines Internet-Aktivisten und Vater-Sohn-Geschichte.

Um dem Ganzen eine lesbare Form zu geben und mit verschiedenen O-Tönen spielen zu können, verfällt Kubiczek auf den Trick mit den Briefen. Die ersten 150 Seiten sind ein Wechselgesang zwischen Felix und Marek, später kommt Veit hinzu, der allerdings nicht selbst das Wort ergreift, sondern in der dritten Person geschildert wird. Felix schreibt an seine Schulfreundin Nina: Es handelt sich um einen nörgeligen Liebesbrief inklusive - lesbarer - Durchstreichungen. Der desorientierte Jungmann rechtfertigt sein Verhalten, Marek legt seinem Sohn die Verwicklungen der letzten Jahre dar und erklärt ihm, warum die Kleinfamilie scheiterte. Der permanente Wechsel zwischen den beiden Briefschreibern, den Erzählweisen und Lebenswelten mit dem jeweiligen Personal gibt dem Roman von Anfang an Schwung. Die saturierte Bundesrepublik in Bonn wird ebenso gegenwärtig wie das akademische Proletariat und das Berliner multikulturelle Patchwork-Familienchaos. Vater und Sohn neigen beide zu Kurzschlusshandlungen. Felix hatte sich im jugendlichen Liebeswahn zu einer Mutprobe hinreißen lassen und auf Geheiß eines Rivalen das Auto eines Burschenschaftlers abgefackelt. Als der Staatsschutz bei ihm zu Hause vorstellig wird, haut er ab nach Berlin. Er will seinen Vater kennenlernen, der aber selbst gerade Fersengeld zahlt, weil er, wie man aus dessen Briefen weiß, Probleme mit dem Jugendamt hat. Seine brasilianische Frau und die Adoptivtöchter sind schuld, aber Veits Maßnahme, der Dame von Jugendamt zu Hause auf die Pelle zu rücken, führt zum Eklat. Noch bevor es zu dem Showdown bei der Jugendamtsfrau kommt, ergänzt der Autor sein Arrangement durch den dritten Helden und bringt Veit ins Spiel. Hier stellt Kubiczek seine soziologischen Qualitäten unter Beweis, denn er schildert einleuchtend, wie sich eine reflektierte Person im Netz in die Pose eines apokalyptischen Propheten in Sarrazin-Manier hineinsteigern kann. Als ihm ausgerechnet seine Studentin, die Polit-Aktivistin Noa Snow auf die Spur kommt, entspinnt sich eine spannungsreiche Dynamik. Umwabert wird das Ganze von einer Endzeitstimmung, denn Veit hat seine Spießgesellen in das Ferienhaus seiner Schwester in der Lausitz gelockt, wo sie seit Monaten inkognito hausen und das Inventar verheizen. Manches wirkt eine Spur überzeichnet, aber der Roman lebt aus seinen Kontrasten. Der Spannungsbogen stimmt. André Kubiczek gelingt eine schwungvolle Momentaufnahme, die dekadente Bonner Jugendliche ebenso aufs Korn nimmt wie depravierte Jammerossis. Keiner der drei Helden ist sonderlich sympathisch, und allein werden sie den Karren kaum aus dem Dreck ziehen. Nur Noa hatte ein paar treffende Begriffe wie "toxische Männlichkeit" parat. Vor allem war sie eine gute Zuhörerin. Dass sie aus dem Koma erwacht, wäre die einzige Hoffnung.

André Kubiczek: Komm in den totgesagten Park und schau, Rowohlt Berlin, Berlin 2018. 380 Seiten, 22 Euro

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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