Literatur-Nobelpreis vergeben:Grenzgänger zwischen den Kulturen

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Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an den türkischen Autor Orhan Pamuk. Der international gefeierte Schriftsteller musste sich in seiner Heimat eines Prozesses wegen "Beleidigung des Türkentums" erwehren - dabei will er "völlig unpolitisch" verstanden werden.

bgr

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an den türkischen Autor Orhan Pamuk. Das teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit. Der 54-jährige Schriftsteller habe "auf der Suche nach der melancholischen Seele seiner Heimatstadt Istanbul neue spirituelle Bilder für den Kampf und die Verflechtung der Kulturen" gefunden, erklärte das schwedische Nobelpreiskomitee zur Begründung.

In seiner Erzählkunst schlägt Pamuk immer wieder Brücken zwischen dem modernen Europa und der mystischen Tradition des Orients. Sein Werk, das mit den allen Mitteln der Erzähltechnik operiert, ist mittlerweile in 35 Sprachen übersetzt und in über 100 Ländern veröffentlicht.

Wegen seines Einsatzes für die Meinungsfreiheit und der Beschäftigung mit Kurden und Armeniern ist Pamuk in seiner Heimat umstritten: Er hatte sich den Zorn türkischer Nationalisten zugezogen, weil er in einem Interview mit Blick auf die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg und auf den Kurdenkrieg gesagt hatte, in der Türkei seien eine Million Armenier und 30.000 Kurden ermordet worden. Nach offizieller türkischer Lesart handelt es sich dagegen bei der Vertreibung hunderttausender Armenier während der Zeit des Osmanischen Reiches um eine Umsiedlung im Zuge des Ersten Weltkriegs, nicht aber um einen geplanten Genozid.

Der Autor und sein angeklagtes Werk

Pamuk gilt als einer der begabtesten und erfolgreichsten Prosaschriftsteller der jüngeren Generation in der Türkei. Fast alle seine Werke erzielten hohe Auflagen und wurden in mindestens dreizehn verschiedene Sprachen übersetzt. Bereits sein erster Roman "Cevdet Bey ve Ogullari", der 1982 in der Türkei auf den Buchmarkt kam, wurde mit dem Romanpreis der Zeitschrift Milliyet ausgezeichnet. Inzwischen auch international anerkannt, wird sein Werk von Kritikern gar mit dem von Jorge Luis Borges und Italo Calvino verglichen.

Pamuks Romane entfalten ein Panorama der osmanisch-türkischen Vergangenheit und türkischen Gegenwart, kreisen um das zentrale Thema des Identitätsverlusts der zwischen westlicher und östlicher Kultur hin- und hergerissenen türkischen Gesellschaft und spüren der verdrängten und in Vergessenheit geratenen mystischen Tradition in der türkischen Geschichte nach. In seinem ersten auch in deutscher Übersetzung erschienenen Roman "Beyaz Kale" (1985; deutsch: Die weiße Festung), der in der Zeit der Herrschaft des Großwesirs Köprülü spielt, gerät der florentinische Ich-Erzähler in türkische Gefangenschaft und wird als Sklave an einen Hodscha verkauft, wobei sich zwischen dem Knecht und seinem Herr, welcher sich begierig die westliche Wissenschaft aneignen will, eine spannende Beziehung entwickelt.

Zu brisanten politischen Themen und Problemen seines Landes, etwa dem Kurdenkonflikt oder dem EU-Beitritt, hat Pamuk stets klar und offen Stellung bezogen, sich auch als einer der Ersten mit dem 1995 angeklagten kurdischen Schriftsteller Yasar Kemal solidarisiert und Salman Rushdie und dessen "Satanische Verse" verteidigt.

Seine Romane, aus denen manche Kritiker politische Brisanz lesen wollten und die zum Teil wegen ihrer satirischen Behandlung des Atatürk-Kults und der Religion heftige Kontroversen in der Türkei auslösten, bezeichnet Pamuk allerdings als völlig unpolitisch.

Er versteht seinen Standpunkt als bewusste Abgrenzung zu Bertolt Brechts Postulat, dass Autoren, nach ihren politischen Überzeugungen befragt, ihre Bücher und nicht ihre Parteiausweise vorweisen sollten. Pamuk machte von Anfang an klar, als Schriftsteller in seinem "Elfenbeinturm leben" zu wollen.

Als Pamuks Meisterwerk wird der Roman "Kara Kitap" (1990; Das schwarze Buch) bezeichnet, vordergründig eine Kriminalgeschichte, die sich als "grandioser Abgesang auf Kultur und Geschichte eines Landes am Rande des Chaos" präsentiere (SZ).

Im Gewand eines historischen Krimis schrieb Pamuk den Gegenwartsroman "Rot ist mein Name" (2001), in dem er in wechselnden Perspektiven eine Intrige am osmanischen Hof unter Miniaturmalern am Ende des 16. Jahrhunderts beschreibt. Im darin thematisierten Konflikt um Maltraditionen des Orients und Okzidents habe er "sich virtuos wie ein Seiltänzer zwischen den Kulturen" (NZZ) bewegt und dadurch Züge einer politischen Allegorie gewonnen, "die aktueller nicht sein könnte" (FAZ). Das deutsche Feuilleton bedachte das Werk, das mit dem internationalen IMPAC-Literaturpreis ausgezeichnet wurde, mit überschwänglicher Kritik, ob seines gelungenen Perspektivwechsels und seiner "elegant, pirouettenreich-verspielten" Erzählweise" (ZEIT).

Im August 2005 leitete die Staatsanwaltschaft im Istanbuler Bezirk Sisli ein Verfahren gegen Pamuk ein. Ihm wurden Herabsetzung und Beschädigung der "türkischen Identität" und des "Türkentums" vorgeworfen. Dieses Verfahren wurde ein Jahr später eingestellt. Das türkische Justizministerium hatte zuvor erklärt, dass gemäß der neuen Strafgesetzgebung eine Anklage nicht zulässig sei. Außerdem hatten die EU-Botschafter in Ankara bei einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan deutlich gemacht, dass die EU eine Verurteilung des prominenten Intellektuellen nicht tatenlos hinnehmen werde.

Orhan Pamuk wurde am 7. Juni 1952 in Istanbul geboren und stammt aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Sein Großvater war einer der ersten Fabrikanten in der Türkei.

Im vergangenen Jahr wurde der englische Dramatiker Harold Pinter mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Der Preis ist mit 10 Millionen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotiert.

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