Literatur:Mehr Praxis als Theorie

Sherko Fatah 17.01.11 von Jens Oellermann; extra 5.2.

Die Randgebiete sind sein Thema: der Autor Sherko Fatah.

(Foto: Jens Oellermann)

Sherko Fatah erklärt seinen Zugang zum Schreiben

Von Yvonne Poppek

Liebe, Krieg, Tod. Mit diesen drei Worten ist das meiste schon gesagt. Wenn es um die großen Themen in der Literatur gehe, so seien es eben diese, konstatiert Sherko Fatah. Dennoch - und das ist natürlich das Bezeichnende und Schöne an Kunst und Wissenschaft -, eine letztgültige Antwort existiert nicht, erst recht nicht in einer Diskussion. Und so sind "Liebe, Krieg, Tod" auch nicht die einzigen Worte, die der diesjährige Chamisso-Preisträger in einer Debatte um die "Schlüsselthemen der Gegenwartsliteratur" am Mittwochabend im Literaturhaus verliert. Es wäre ja auch ein sehr kurzes Gespräch geworden.

Das Internationale Forschungszentrum Chamisso-Literatur hatte den Autor für eine viertägige Poetikdozentur nach München eingeladen. Fatah sprach an Schulen und an der Ludwig-Maximilians-Universität. Eine Essenz seiner Dozentur arbeiteten die Literaturwissenschaftler Gesine Lenore Schiewer und Thomas Borgard sowie der Literaturkritiker Gregor Dotzauer im Literaturhaus heraus. Eine auf den Schriftsteller Fatah fokussierte. Denn er machte keinen Hehl daraus, dass er sich nicht einer bestimmten Literaturtheorie oder gar einer Revolution der erzählerischen Mittel verpflichtet fühlt: "Mir scheint, die Zeit ist nicht günstig für solche Projekte."

Fatah, als Sohn einer Deutschen und eines Kurden 1964 in Ost-Berlin geboren, lässt seine Romane im kurdischen Grenzgebiet zwischen Iran, Irak und der Türkei handeln. In seinem jüngsten Buch "Der letzte Ort" antizipierte er gar den IS-Terror. Dass er sich auf diese "Randgebiete" konzentriere, habe keine moralischen Gründe, betonte er indes. Nur von den Rändern her sei die Welt für ihn erzählbar. Dass gerade diese Ränder - und damit seine Bücher - an Aufmerksamkeit gewinnen, sei für ihn "eine interessante Erfahrung". Ränder wirkten auf das Zentrum.

Im Verlauf des Gesprächs wurde immer sichtbarer, dass der Zugriff des Schriftstellers weit mehr pragmatisch als theoretisch geprägt ist, dass Begriffe wie Schlüsselthemen ("Das sind Themen, die mich interessieren"), Gegenwart und Wirkabsicht ("Ich schreibe im Heute") aus der Erfahrungswelt des Schriftstellers gespeist werden. Ein Roman ist für ihn ein Ausschnitt der Welt, er wählt aus, ordnet, wirft Überflüssiges weg. Anders als Datensammlungen des Lebens. Für solche Vergleiche hat Fatah dann immer ein einprägsames Bild zur Hand: "Die Müllabfuhr - das ist der Unterschied zwischen Kunst und Leben. In der Kunst gibt es eine."

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