Literatur in Bayern:Bunt und kraftvoll

Bertolt Brecht u.Oskar Maria Graf/Foto - Bertolt Brecht & Oskar Maria Graf /Photo - Brecht, Bertolt

Zwei kritikfreudige bayerische Schriftsteller, fern der Heimat in New York: Oskar Maria Graf (links) und Bertolt Brecht.

(Foto: AKG)

Der Freistaat galt vielen lange Zeit als rückständig. Dabei gibt es in kaum einer anderen europäischen Region eine so vielfältige Literaturszene - sie reicht bis ins 8. Jahrhundert.

Von Hans Kratzer

Die Literatur gleicht einem weiten Feld, auf dem viele Autoren Platz haben. Trotzdem wurden die Bayern in der Vergangenheit oft an den Rand gedrängt. Hochnäsige Autoren der Aufklärungszeit verspotteten das am Fuße der Alpen lebende Volk mit Vorliebe als rückständig, geistesschwach und primitiv, Bayern galt ihnen als ein "Reich der Finsternis", bewohnt von Menschen "mit aufgedunsenen Wänsten, kurzen Stumpffüßen und schmalen Schultern, worauf ein dicker runder Kopf mit einem kurzen Hals sehr seltsam sitzt" (Johann Kaspar Riesbeck, 1783). Umso verwunderlicher ist es, dass ein Großteil der kraftvollsten deutschen Schriftsteller des 19. und 20. Jahrhunderts aus dem so mächtig gescholtenen Lande Bayern stammt. Aus einer Region also, in der die Unergründlichkeit menschlicher Existenz stets theatralischer erörtert wurde als anderswo - was natürlich auch an der Bauernschläue der Eingeborenen liegt, die ihre Eigenheiten geschickt vermarkten - nicht zuletzt mit einer Literatur, die das Zerrbild des hinterwäldlerischen Bayern unter Beigabe einer Prise Selbstironie bewusst pflegt.

Insgesamt ist die Literaturlandschaft in Bayern so buntscheckig wie Oberbayerisches Fleckvieh. Man wird sich schwertun, in einer anderen europäischen Kleinregion ein ähnlich vielfältiges Dichtertum zu finden. Es mag sich zwar komisch anhören, aber irgendwie hat dieser Zustand immer noch mit dem Kollaps des Römerreiches vor gut 1600 Jahren zu tun. Denn auf den Trümmern der Antike wuchs im bajuwarischen Stammesherzogtum die früheste europäische Literatur heran, und binnen kurzer Zeit waren weltbedeutende Werke geschrieben wie etwa der Abrogans des Freisinger Bischofs Arbeo (764-783).

Auf diesem großartigen Fundament wuchsen im Laufe der Zeit sogar Nobelpreisträger wie Paul Heyse und Thomas Mann heran, auch wenn diese für Bayern nicht so viel übrig hatten. Dafür haben andere Champions wie Ludwig Thoma, Oskar Maria Graf und Lena Christ das traditionelle Bayernbild auf lange Zeit hin geprägt und - zumindest im Falle Thoma - das ganze Mysterium der Literatur abgebildet. Thomas "Heilige Nacht" zählt zum Anrührendsten, Feinfühligsten, was je in bayerischer Mundart geschrieben wurde. Und doch war der Verfasser auch imstande, Artikel zu verfassen, die vor derber Menschenverachtung nur so strotzen.

Man wird die jüngere deutsche Geschichte ohne Kenntnis der großen bayerischen Romane nicht zur Gänze begreifen. Oskar Maria Graf und erst recht Lion Feuchtwanger sind Autoren von Weltrang, die den Aufstieg der Nazis literarisch eindringlich dokumentiert haben. Nach 1945 stieg München zur wichtigsten Literaturstadt in Deutschland auf, die von Autoren wie Erich Kästner, Wolfgang Koeppen und Michael Ende geprägt wurde.

Eine Zäsur in der bayerischen Literatur setzten von den 60-er Jahren an die Bavarica, also Bücher zur Geschichte und zur Folklore des Freistaats. Im Gefolge fluteten biedere Verserlschmiede den Markt mit Heimatkitsch. Den Traditionalisten standen Autoren gegenüber, die mit revolutionärem Schwung gegen den alten Mief anschrieben. Angesteckt von der Umwelt- und Friedensbewegung, definierten junge Wilde wie Harald Grill in den 70-er Jahren den Sinn poetischer Dichtung radikal neu. Autoren wie Herbert Achternbusch und Josef Bierbichler setzten die widerständige Tradition bayerischer Literatur fort. Seit 30 Jahren wird die Szene von der Kulturzeitschrift Literatur in Bayern begleitet, die sich mit jeder Art von Literatur beschäftigt, die in Bayern spielt, geschrieben wird oder von diesem Land handelt. Natürlich zählen dazu auch moderne Gattungen wie Poetry Slam, deren bedeutendste Protagonistin, Nora Gomringer aus Bamberg, 2015 immerhin den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: