Literatur:Im Sprachland

Literatur: Annähernd zwanzig Gedichtbände hat er bereits veröffentlicht: Lyriker und Philosoph Ludwig Steinherr.

Annähernd zwanzig Gedichtbände hat er bereits veröffentlicht: Lyriker und Philosoph Ludwig Steinherr.

(Foto: Tony Ward)

Der Münchner Lyriker Ludwig Steinherr

Von Antje Weber

Seine Zunge ist eine Landkarte, auf der man die Namen nicht lesen kann. Sie ist ein Urkontinent, "dessen vage Ränder ins schäumende Urmeer zerfransen", wo jedes Wort, jeder Laut ein Erdbeben ist, "das Berge erzittern läßt/ und Springfluten übers Land jagt". Bis das lyrische Ich endlich begreift: "dies ist der einzige Kontinent/ den ich bewohne".

Ein Besuch beim Zahnarzt, der das Wort "Landkartenzunge" fallen ließ, hat Ludwig Steinherr zum gleichnamigen Gedicht in seinem neuen Band "Alpenüberquerung" (Allitera Verlag) inspiriert. Ein unbedingt poetologisch zu deutendes Gedicht: Zum einen sind Steinherrs Gedichte oft an Alltagserlebnisse angebunden; zum anderen macht dieser Text klar, wie wichtig für ihn jener Urkontinent der Sprache ist, dieses "dunkle mythische Land", zu dem der "feurige Erdkern/ das Herz seine sprachlose/ Botschaft stammelt".

Und noch eines wird hier deutlich: die Leidenschaft eines Dichters, der sich seit seiner Jugend in nunmehr 18 Gedichtbänden ganz der Lyrik verschrieben hat. Steinherr, 1962 in München geboren und in München-Haidhausen lebend, ist einerseits in Dichterkreisen wohlbekannt. Andererseits ist es in den vergangenen Jahren ruhig geworden um den Lyriker und promovierten Philosophen, der 1993 mit Anton G. Leitner die Zeitschrift Das Gedicht gründete und in den Neunzigerjahren so manche Auszeichnung erhielt, 2003 schließlich in die Bayerische Akademie der Schönen Künste aufgenommen wurde.

Es mag daran liegen, dass der freundliche Mittfünfziger keiner ist, der sich in den Vordergrund drängen würde. Auch daran, dass er unbeirrt von literarischen Moden seinen Weg geht: Seine Gedichte halten die Leser nicht verrätselnd auf Abstand, sondern sind meist leicht zugänglich. Außerdem sind sie oft christlich grundiert, womit man als Autor auch nicht gerade im Trend liegt. Und so denkt das lyrische Ich bisweilen über die "Zeit der Ernte" bei anderen Menschen nach, über ausgezahlte Lebensversicherungen, Kreuzfahrten, Sprachkurse, während das Ich selbst nachts schlaflos in der Küche beim Kühlschranklicht Dante liest: "Warum komme ich seit Jahren/ nicht weiter?"

Doch die Entscheidung für Dante und gegen die Lebensversicherung ist bei diesem Autor eben längst gefallen; die Entscheidung für ein Leben als Beobachter und Verdichter sich ständig ändernder Lebenswirklichkeiten. Er selbst beschreibt sein Tun unter dem Titel "Gedichte" so: "Wie die brummende Augusthitze im LKW/ kurz bevor alle Sprite-Flaschen explodieren/ wie der Augenblick/ als diese riesige Hornisse/ über meine nackte Kinderschulter kroch - / und ich saß reglos / und sah ihre Antennen zittern".

Da sitzt also einer, vielleicht nachts im Kühlschranklicht, und schaut gebannt noch auf die kleinsten Lebensäußerungen - um sie festzuhalten, um eine tiefere Symbolik darin zu erkennen. Sieht Marienkäfern zu, beschreibt das einstige Schwabing und macht sich anlässlich des Sterbens der Mutter Gedanken über den Tod. Das alles in dem Bewusstsein: "Ich meißle keine Verse in Granit - / Mir genügt es ein paar Worte/ über den gleißenden See zu schleudern - / ein paar blitzende Sprünge übers Wasser/ und schon versunken/ auf Nimmerwiedersehn -". Wobei man das nicht so stehenlassen kann: An diesem Donnerstag liest Ludwig Steinherr im Lyrik Kabinett - zum Wiedersehn.

Ludwig Steinherr, Donnerstag, 18. Mai, 20 Uhr, Lyrik Kabinett, Amalienstraße 83

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