Literatur:Im Netz der Erinnerungen

Wolfgang Koeppen, 1988

Verweigerte sich der schnellen Vermarktung: Wolfgang Koeppen

(Foto: Brigitte Friedrich / SZ Photo)

Akademie der Schönen Künste beginnt neue Reihe "Literatur am Montag" mit einem Abend über Wolfgang Koeppen

Von Antje Weber

Erinnerungen mögen zwar irgendwo abgespeichert sein, ob im Gedächtnis, ob als Computerdateien. Trotzdem kommt man nicht immer leicht an sie heran. Denn die Erinnerung, schreibt Wolfgang Koeppen, liegt zwar "in einem unordentlichen verwirrenden Netz, griffbereit". Doch "wehe, wenn ich den Schlüssel verloren habe, die Fähigkeit, den Mechanismus zu bedienen, wenn ich die Taste nicht mehr finde, die Vergangenheit herbeiruft, sie zur Gegenwart und gar zur Zukunft in unentrinnbare Beziehung setzt".

So wie Koeppen in seinem soghaften Text "Jugend" die Vergangenheit herbeirief, versucht das nun auch die Bayerische Akademie der Schönen Künste mit einer neuen Reihe. Bei "Literatur am Montag" soll an jedem ersten oder zweiten Montag eines Monats ein Akademiemitglied oder ein Gast einen Lieblingsschriftsteller vorstellen; "gegen die schnelle Vermarktung von Literatur", wie Schriftsteller Hans Pleschinski im Programmheft schreibt. Den Anfang macht ein Autor, der sich dem raschen Publizieren verweigerte: Wolfgang Koeppen, 1906 in Greifswald geboren und 1996 in München gestorben. Er ist unvergesslich, nicht nur wegen der bedeutenden Romane, die er schrieb ("Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom"). Sondern auch wegen des einen großen Romans, den er zeitlebens eben nicht schrieb, obwohl sein Verleger Siegfried Unseld dies unermüdlich einforderte.

Einer, der Koeppen gut kannte, ist der Akademie-Präsident und ehemalige Hanser-Verleger Michael Krüger. Er wird an diesem Montag aus "Jugend" lesen und den eigenwilligen Schriftsteller vorstellen; sicherlich so kundig wie kurzweilig. Denn Krüger hat eine Zeitlang mit Koeppen sogar zufällig in einem Haus gewohnt, in der Herzogstraße in Schwabing. Koeppen hatte dort durch den - laut Krüger "sehr merkwürdigen", gut vernetzten Dichter Carl Werner - eine Einzimmerwohnung zur Verfügung gestellt bekommen.

Denn Koeppen konnte in seinem Zuhause in der Widenmayerstraße schlecht arbeiten, weil seine kranke, "zu Ausbrüchen neigende" Frau das unmöglich machte. Doch auch in der Herzogstraße ließ Koeppen sich gerne beim Arbeiten stören, erzählt Krüger. Wenn er abends vom Verlag nach Hause kam und durch den Türspion Licht beim Autor sah, klopfte er das Ho-Ho-Ho-Chi-Minh-Zeichen - "tak, tak, taktaktak". Koeppen öffnete meistens die Tür, "und dann haben wir einen Schnaps getrunken und über die Welt geredet". Schon bald, so Krüger, sah die winzige Wohnung allerdings aus, "als hätte ein Tsunami darin gewütet", denn Koeppen gelang es nicht, Ordnung zu schaffen. "Doch eines Tages komme ich hin, alles ist blitzblank aufgeräumt und auf seinem Tisch steht ein Stapel von 500-600 Seiten." Darauf liegt ein Blatt mit dem Titel "In den Staub mit allen Feinden Brandenburgs". Der berühmte unvollendete Roman also? Doch Koeppen wehrt ab: "Nein, nein, das sind alles meine alten Manuskripte." Obenauf liegen nur die 20 fertigen Seiten des Romans, denn: "Morgen kommt Herr Unseld, und wir müssen über einen neuen Vorschuss reden."

Der neue Vorschuss vom großzügigen Verleger kam. Koeppen erfuhr immer wieder Unterstützung, auch aus der Münchner Literaturszene. Michael Krüger sauste sogar manchmal, wenn der Schriftsteller und seine Frau in Nöten waren, aus dem Verlag mit dem Fahrrad zu ihnen und führte schnell den kleinen Hund aus. Doch davon soll Krüger selbst an diesem Montag mündlich erzählen, in aller gebotenen Drastik und Lakonie. Denn es gibt Erinnerungen, die kann jemand anderer zwar irgendwie abspeichern - und doch wird der Versuch, sie wieder aufzurufen, misslingen.

Literatur am Montag: Wolfgang Koeppen, Montag, 15. Januar, 19 Uhr, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3

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