Literatur:Generationenkonflikt

Literatur: Schriftsteller, Maler und wieder Schriftsteller: Silvio Blatter.

Schriftsteller, Maler und wieder Schriftsteller: Silvio Blatter.

(Foto: Petra Amerell)

Silvio Blatter liest aus "Wir zählen unsere Tage nicht"

Von Sabine Reithmaier

Die kreativen Alten gehen entschlossen ihren Weg, die ängstlichen Jungen verzetteln sich in ihren Problemen. Das wäre, stark vergröbert, die Botschaft des neuen Zwei-Generationenromans von Silvio Blatter. Der Schweizer Schriftsteller, der teils in München, teils in Zürich lebt, wurde hierzulande mit seiner 1978 begonnenen und zehn Jahre später abgeschlossenen "Freiamt"-Trilogie bekannt. Zwischen 1990 und 2000 verstummte er als Schriftsteller, widmete sich, ebenfalls erfolgreich, fast ausschließlich dem Malen. Doch dann kehrte der jetzt 69-Jährige auch wieder zum Schreiben zurück, veröffentlichte zuletzt "Vier Tage im August".

In seinem neuen Roman "Wir zählen unsere Tage nicht" (Piper) steht eine Familie im Mittelpunkt, die als solche ihren Höhepunkt längst hinter sich hat: Isa Lerch, viel geliebte und erfolgsverwöhnte Radiomoderatorin, steht kurz vor dem Ruhestand, auf den sie gar keine Lust hat. Ihr Mann Severin ist Bildhauer. Ehemals waren seine Holzskulpturen stark gefragt, inzwischen ist es um ihn eher ruhig geworden. Sein "Kämpferherz" nutzt er dazu, die Paintball-Schützen in seiner Atelier-Kiesgrube in Schach zu halten. Das Paar hat zwei Kinder: die 40-jährige Tochter Sandra, verheiratet, "überzeugte Familienfrau", den Künstler-Eltern fast zu bieder, und den etwas jüngeren Sohn Matthias, einen Personalentwickler, der seine Eltern, vor allem den Vater kritisch sieht, selbst aber die Neigung hat, sich in komplizierte, von Anfang an zum Scheitern verurteilte Beziehungsgeflechte zu verstricken.

Vier Personen aus zwei Generationen also, deren Wege sich - familiär bedingt - immer wieder kreuzen, wenn sie auch ansonsten ziemlich unabhängig voneinander leben. Interessanterweise denken hier die Kinder mehr über ihre Eltern nach als umgekehrt, sie beobachten sie scharf, teils sogar recht unbarmherzig. "Sandra spürte, dass sie Lust hatte, Isa mit dem grausamen Blick zu taxieren: die schlaffe Haut an den Oberarmen, das erschöpfte Gewebe. . . Ginge sie nackt, sähe man das Skelett sich abzeichnen. Es war mit Fleisch behangen statt bespannt." Kein Wunder, dass Isa ihre Tochter partiell ziemlich ätzend findet.

Und irgendwie überrascht es auch nicht, dass es die Eltern sind, die sich von alten Zwängen befreien und sich neu orientieren, während die Kinder in alten und neuen Beziehungen rumstopseln, ihre Ängste nur für kurze Momente überwinden. Das alles ist mit leichter Hand erzählt, liest sich locker und unterhaltsam. Doch wird man nie das Gefühl los, dass Blatter ein wenig zu viel konstruiert und die tiefgründigen Gedanken und Empfindungen seiner Figuren allzu kunstvoll geschnitzt hat.

Lesung mit Silvio Blatter, Donnerstag, 21. Mai, 20 Uhr, Buchhandlung Lehmkuhl, Leopoldstr. 45

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