Literatur:Epochale Erinnerungen

L'HISTORIEN ET ECRIVAIN ISRAELIEN, SAUL FRIEDLANDER, PORTRAITS

Nur als Reisender zwischen den Welten fühlte er sich wohl: der Historiker Saul Friedländer.

(Foto: Sébastien Soriano)

Der Historiker Saul Friedländer, 1932 in Prag geboren, mit der Familie nach Frankreich geflohen und später nach Israel ausgewandert, stellt in München seine Memoiren vor

Von Eva-Elisabeth Fischer

Saul Friedländer ist buchstäblich auf den Hund gekommen. Und auch deshalb doch irgendwie angekommen in einem Familienidyll in Los Angeles mit seiner zweiten Frau Orna - auch dank dieses entzückenden schokobraunen Labrador-Welpens namens Bonnie. Friedländer beendet seine Memoiren "Wohin die Erinnerung führt. Mein Leben" mit Szenen einer trauten Privatheit, wie sie dem Weltbürger früher als Ehemann und Vater zweier Kinder nie in den Sinn gekommen wäre. Nun hat er seine Memoiren geschrieben. In Deutschland stellt er sie in München, im Literaturhaus, der Öffentlichkeit vor.

Seine Unbehaustheit, die er als erwachsener Mensch verstand, kreativ zu nutzen in einer für ihn komfortablen Ubiquität als Lehrender an oft zwei oder drei Plätzen zugleich, lag in der Flucht der Familie vor den Nationalsozialisten begründet. 1932 in Prag geboren, überlebte Pavel, wie er damals hieß, anders als seine Eltern, zwangsgetauft und in der Folge als glühender Katholik in einem katholischen Internat im nichtbesetzten Frankreich. Seine Auswanderung nach Israel hatte er, nach einer kurzen Phase als Kommunist, endlich als tatendurstiger Zionist betrieben. Dort angekommen, wurde er vom Paul zum Saul.

Von den traumatischen Kindheitserlebnissen blieben ihm zeitlebens eine unüberwindbare Schüchternheit wie auch, was schwerer wiegt, eine nach außen zur Schau gestellte Zurückhaltung, die ihm immer wieder als Gefühlskälte ausgelegt wurde. Seiner Panikattacken konnte er durch eine Psychoanalyse und Sedativa Herr werden. All diese Einschränkungen hinderten ihn nicht daran, überall dort, wo er gerade war, oft lebenslange Freundschaften zu schließen. Und schließlich beflügelten ihn sämtliche zu seiner Lebensaufgabe, sich als studierter Politikwissenschaftler dem einzigartigen Menschheitsverbrechen, der Schoah zu widmen. Er etablierte deren Geschichte als Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. Dokument dieser Anstrengung ist die dreiteilige, umfassende Studie "Das Dritte Reich und die Juden".

Anlass für die neuerlichen Memoiren - seine ersten, "Wenn die Erinnerung kommt", erschienen 1979 - ist das mit zunehmendem Alter schwindende Kurzzeitgedächtnis zugunsten des sich schärfenden Langzeitgedächtnisses. Und so wie Saul Friedländer mit den Jahren ein beeindruckendes Löwenhaupt gewachsen ist, so schafften sich darin Einschätzungen Raum, die sich im Nachhinein in den meisten, vor allen den strittigen Fällen als hellsichtig zur Unzeit erwiesen. Wichtigstes Beispiel: Die Voraussage, wonach sich die Demütigung der israelischen Araber, wie man damals die Palästinenser noch nannte, nach dem Sechstagekrieg im Jahr 1967 fürchterlich gegen die damals siegreichen Israelis richten werde.

Nein, die Werbung des C. H. Beck Verlags für seinen jüngsten Friedländer ist nicht übertrieben: "das Zeugnis einer Epoche". Eben weil er sich nur als Reisender zwischen den Welten wohlfühlte, ihn offenbar immer nur und immer wieder die stete Veränderung inspirierte, ist Saul Friedländer er in der Lage, globale Zusammenhänge zu entdecken, sie zu benennen und zu kommentieren. Dabei kam ihm nicht zuletzt seine kontinuierlich erworbene Vielsprachigkeit zugute. Aufgewachsen mit der deutschen Sprache, wurde Friedländer das Französische zur Mutter- , und das Hebräische zur Herzenssprache, während das Englische, in dem auch die vorliegenden Lebenserinnerungen verfasst sind, zu seiner Lebensmittelpunkt-Sprache reifte. Und damit dies alles nicht zu kompliziert würde, hat er etliche Kapitel nach den jeweils wichtigen Aufenthaltsorten benannt, als da sind Nirah, Paris, Schweden, Genf und immer wieder Jerusalem. Komplettiert wurden diese Stationen noch durch mehrere Lehrtätigkeiten in den USA.

Und vor allem in den Achtzigerjahren kam Berlin hinzu. Saul Friedländer hatte damals ein erhellendes Buch über "Kitsch und Tod" als wesenhaft für den Nationalsozialismus geschrieben. In Berlin hielt er es letztlich nicht aus wegen des damals eskalierenden Historikerstreits, entfacht von dem Historiker und Philosophen Ernst Nolte, der Mitte August dieses Jahres gestorben ist. Weshalb er an dieser Stelle zitiert sei: "Herr Friedländer, was heißt es eigentlich, Jude zu sein? Ist es eine Frage der Religion oder der Biologie?"

Saul Friedländer, der spätere Sophie-Scholl-Preisträger, hat auch diese ungeheuerliche Frage mit "Wohin die Erinnerung führt" ebenso subjektiv wie klar beantwortet. Die Lesung des gerade noch 83-Jährigen im Literaturhaus sollte man nicht versäumen.

Saul Friedländer: Wohin die Erinnerung führt. Mein Leben; Sonntag, 25. September, 17 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

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