Literatur:Ein bisschen kämpferisch

Studenten der Akademie der Bildenden Künste in München Deutschland streiken Protest gegen das Not

Prinzip Hoffnung: Studenten der Akademie der Bildenden Künste in München protestieren 1968 gegen das Notstandsgesetz der Bundesregierung.

(Foto: Imago)

"Die Marquis Posas müssen gelüftet werden": Das Residenztheater will mit einer Lesereihe an die demokratischen Traditionen von 1848, 1918 und 1968 erinnern - und sie an die Gegenwart von 2018 anbinden

Von Antje Weber

Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden" - ein irritierender Satz. Geprägt hat ihn vor 100 Jahren Rosa Luxemburg, die unermüdliche Kämpferin für die Rechte der Arbeiter und die (Sozial-)Demokratie; eine Frau, die nicht nur radikaler dachte als viele andere, sondern auch konsequenter handelte. Wer allerdings kennt mehr von ihrem Werk als den berühmten Spruch von der Freiheit der Andersdenkenden? Und wer versteht jenen Satz, den Luxemburg im Gefängnis in einem Manuskript über die Russische Revolution schrieb, überhaupt in seinem Kontext richtig? Denn darin steckt nicht unbedingt das, was etwa Liberale heute gerne herauslesen mögen: "Rosa Luxemburg war keine FDP-lerin", sagt Clemens Pornschlegel, Germanistik-Professor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, mit feiner Süffisanz.

Wer diese Frau war und was sie wollte, wird man demnächst am Residenztheater erfahren können: Eine Lesereihe will dort Texte zur Demokratie von 1848, 1918, 1968 und 2018 präsentieren. Die zehn Folgen, in einer Kooperation des Theaters mit der LMU erarbeitet, stellen jeweils sehr unterschiedliche Autoren in den Fokus. Wichtig ist Pornschlegel, der die Lesungen zusammen mit der Dramaturgin Andrea Koschwitz konzipiert hat, dass die Texte "nicht ganz so bekannt sind". Wie zum Beispiel einer des Dadaisten Hugo Ball, der das Motto der Reihe liefert: "Die Marquis Posas müssen gelüftet werden", schrieb Ball aufmüpfig in einem Text über den Vormärz-Dramatiker Christian Dietrich Grabbe.

Lüften will man jedoch nicht nur die Marquis Posas. An diesem Donnerstag beginnt die Reihe in der Bar "Zur schönen Aussicht" mit einer - bereits ausgebuchten - Lesung von zumeist vergessenen Vormärz-Dichtern wie Ferdinand Freiligrath. Der schrieb glühende Verse über am Ofen schuftende Arbeiter: "Wir sind die Kraft! Wir hämmern jung das alte morsche Ding, den Staat, / Die wir von Gottes Zorne sind bis jetzt das Proletariat!" Mit solch politisch engagierter Dichtung, so Pornschlegel, will man an die "schwierige Geschichte der Demokratie" erinnern. Und an die soziale Not, aus der heraus sich revolutionäre Gedanken entwickelten: Annette von Droste-Hülshoffs "Die Judenbuche" - gelesen von Bibiana Beglau - steht daher im Zentrum des zweiten Abends Anfang Februar. "Das ist ein sehr genauer Text zur sozialen Lage im Vormärz", sagt Pornschlegel; außerdem sei es ihnen wichtig gewesen, auch hochrangige Schriftstellerinnen einzubeziehen und nicht nur Männer als Wegbereiter der Demokratie zu präsentieren.

Doch natürlich wird, um beim Vormärz zu bleiben, ein wichtiger Dichter wie Heinrich Heine im Programm nicht fehlen. Und es wird, wenn man sich den Umbrüchen um 1918 nähert, neben Rosa Luxemburg auch ein Franz Kafka aufgerufen werden; im Zentrum soll allerdings eine weniger bekannte Erzählung von ihm stehen: "Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse". Darin geht es um eine pfeifende Sängerin und ihr Verhältnis zur Gesellschaft: "Dieses Pfeifen, das sich erhebt, wo allen anderen Schweigen auferlegt ist, kommt fast wie eine Botschaft des Volkes zu dem einzelnen", schreibt Kafka darin, und: "Hier in den dürftigen Pausen zwischen den Kämpfen träumt das Volk".

Ja, und wovon träumt das Volk wiederum 50 Jahre später? Das Phänomen 1968 versucht man anhand von Paul Celans "Atemwende", Gisela Elsners "Eintritt" und Ernst Blochs "Das Prinzip Hoffnung" zu ergründen. Letzteres zum Beispiel ist für Pornschlegel wieder so ein Buch, das für die 68er zwar sehr bedeutsam war, das heute jedoch kaum mehr jemand liest. Enden wird die Reihe, um die kämpferischen Traditionen an die Gegenwart anzubinden, im Dezember mit einer Lesung von Texten des jungen Autors Markus Ostermair. Er interessiert sich, was in diesem Kontext nicht erstaunt, in besonderem Maße für die sozialen Gräben in unserer Gesellschaft; so erhielt er ein Münchner Literaturstipendium für einen bisher unveröffentlichten Roman über Obdachlose.

Denn ein bisschen kämpferisch, gar klassenkämpferisch will man sich schon geben. "In Zeiten der Post-Demokratie", so befindet Pornschlegel in Anlehnung an den Politikwissenschaftler Colin Crouch, "in denen die unteren Bevölkerungsschichten in die konsumistische Apathie und in Verteilungskämpfe gedrängt werden, um Wohnungen, Arbeitsplätze, gesellschaftliche Akzeptanz, während oben fleißig darüber nachgedacht wird, wie man den entpolitisierten Status quo halten und den Reichtum mehren kann, ist eine Lesereihe zu demokratischen Revolutionen in Deutschland dringlich." Der Gemeinsinn der Vormärz-Denker zum Beispiel sei vorbildlich gewesen, findet der Germanist. Dass es in Deutschland demokratische und revolutionäre Traditionen gebe, werde überhaupt oft vergessen. Doch: "Man kann sie auch 2018 noch gut gebrauchen."

Demokratie-Lesereihe, Residenztheater, Beginn Donnerstag, 11. Januar, www.residenztheater.de

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