Literatur:Ein Attentat auf George W. Bush

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Nicholson Bakers neues Buch ist keine Anstiftung zum Mord. Aber auch nichts, was unrealistisch wäre.

Von Thomas Steinfeld

Es ist Mittag in Washington, D.C. In einem Zimmer im "Adele Hotel and Suites" sitzen zwei Männer, offenbar alte Bekannte, kauen Chips und bestellen beim Zimmerdienst ein Essen. Ein Bandgerät läuft: "Offenbar hast Du etwas im Sinn." - "Stimmt." - "Damit könntest Du anfangen." - "Okay. Oh, Ich mach" schon — okay. Ich werd"s einfach sagen. Ohm." - "Was ist los?" - "Ich werde den Präsidenten ermorden."

Von diesem Mord an George W. Bush, von seinen Gründen, seinem potenziellen Verlauf, seinem möglichen Täter handelt dieses Buch. Es besteht nur aus diesem Dialog. Es endet, indem die beiden auseinandergehen, mit unbekannten Zielen. Geschrieben hat dieses Buch Nicholson Baker - ein hoch geachteter, anspruchsvoller, international erfolgreicher Schriftsteller, einer der wichtigsten Autoren, die es in den Vereinigten Staaten gibt.

Ein Geheimnis ist aus diesem Buch gemacht worden. Die Kritiker erhalten keine Druckfahnen, im Herbstprogramm des Verlages Alfred A. Knopf ist zwar die Veröffentlichung des Buches unter dem Titel "Checkpoint" für den August angekündigt.

Im Unterschied zu allen anderen Büchern des kommenden Herbstes aber enthält das Neuerscheinungsverzeichnis für diesen Titel weder Inhaltsangabe noch Kommentar.

Am Mittwoch dieser Woche beendete die Washington Post mit einer Inhaltsangabe und langen Zitaten das Rätselraten um dieses Werk: "Es ist ein Werk der Vorstellung, und im engeren Sinne wird kein Anschlag auf das Leben des Präsidenten versucht. Die Wirkung wird dennoch aufhetzend sein."

Dann wendet sich die Zeitung den juristischen Fragen zu, die eine Anleitung zu einer Straftat in einem fiktionalen Zusammenhang aufwirft.

Der Autor darf eine Figur von der Ermordung des Präsidenten reden lassen, lautet das Ergebnis, solange er damit nicht unmittelbar zur Tat auffordert.

In Deutschland würde man das vermutlich anders sehen - als Christoph Schlingensief "Tötet Kohl" rufen ließ oder Rolf Hochhuth ein Couplet aufführte, in dem jemand Verständnis für eine Ermordung Josef Ackermanns äußerte, standen Klagen wegen Anstiftung zu einem Kapitalverbrechen jedenfalls sofort im Raum.

Wenn Nicholson Baker über ein Attentat an George W. Bush schreibt, dann trägt Baker die Züge von James Stewart, wie dieser in "Mr. Smith goes to Washington" (1939) mit korrupten Senatoren abrechnet oder in "The Naked Spur" zum Mörder wird.

In "Eine Schachtel Streichhölzer" (Rowohlt 2004), seinem jüngsten Buch, erweist er sich als ein heiliger Franziskus des Hausrats, der dreiunddreißig Tage lang sehr früh aufsteht, um in der so gewonnen Lebenszeit über die kleinen Dinge des Lebens nachzudenken.

Und auch alle anderen seiner bislang fünf Romane beschäftigen sich mit großer Aufmerksamkeit, Zartheit, ja Liebe mit dem Leben, wie es von schräg unten betrachtet aussieht.

Und als er, wovon sein Buch "Double Fold" berichtet, nicht nur all seine Ersparnisse, sondern auch seine Rente dahingab, um Archive voller alter Zeitungen zu retten, geschah das nicht nur, um die Zeitgeschichte in ihrer medialen Anschaulichkeit zu bewahren, sondern auch um der darin enthaltenen Graphiken, Comic strips und Anzeigen willen.

Nun aber, scheint es, treibt die aufmerksame Lektüre der Zeitungen den Schriftsteller Nicholson Baker zu ganz anderen Unternehmungen als zu einem gigantischen Archiv.

Er meint es ernst mit seiner Politisierung. Die Dialog ist gelegentlich satirisch und manchmal pathetisch, zuweilen schweift er ab ins Skurrile und Phantastische, und dann treibt ihn wieder eine hoch konzentrierte, kalte Wut.

"Niemals", sagt Jay, der prospektive Attentäter, habe er einem Präsidenten gegenüber "so viel Feindschaft" empfunden, nicht bei Nixon und nicht bei Reagan: George W. Bush - dieser Mann sei "jenseits des Jenseits. Was er mit dem Krieg gemacht hat. Die Morde an Unschuldigen. Und jetzt die Gefängnisse. Es ist zuviel. Es macht mich so wütend. Und es ist eine neue Art von Wut."

In der Mitte dieses auf und nieder, nach rechts und nach links treibenden Geredes allerdings steht eine Lektüre der Zeitungen, die aufmerksam verfolgt, wie die Vereinigten Staaten unter der Regierung von George W. Bush den Rest der Welt als potentielles Partisanentum behandeln.

Von einer solchen Tat berichtet auch der Titel: Jay hat im Sydney Morning Herald gelesen, wie eine siebzehnköpfige schiitische Familie auf der Flucht an einem "Checkpoint" von amerikanischen Soldaten dahingemetzelt wird. Als er die Geschichte erzählt, muss er sich übergeben.

In dieser Situation ist Jay wie ein Kind: radikal in seinem Mitleid, aber auch radikal in seiner Suche nach persönlicher Verantwortung. Oder genauer: wie ein amerikanisches Kind, unfähig oder nicht willens, in Verhältnissen, Bedingungen und Strukturen zu denken, sondern ebenso auf das personifizierte Böse gerichtet, wie die amerikanische Politik in jedem arabischen Partisanen das personifizierte Böse erblickt.

Die "Charaktermaske", der Glaube, jeder Politiker sei austauschbar, ist eine sehr europäische Vorstellung. Der Western spukt in der Konstellation dieses Romans herum: die archaisierende Geschichte, wie einer in seiner Isolation und Hilflosigkeit aufbegehrt und in der Rechtlosigkeit der Verhältnisse für einen Augenblick die Chance erkennt, das Unrecht mit der Waffe in der Hand zu stellen.

"Checkpoint" erzählt auch vom utopischen Moment der individuellen Verantwortung.

Ein Band läuft. Es läuft vermutlich, um morgen beweisen zu können, wie mutig man gestern war. Es dokumentiert aber auch die Sorge des Gegenübers, für die Planung eines Verbrechens verantwortlich gemacht zu werden.

Und es dokumentiert die Wirrnis des potenziellen Attentäters - eine Wirrnis, der auf der anderen Seite eine größere Wirrnis gegenübersteht. Eine Anstiftung zum Mord ist das nicht. Aber auch nichts, was unrealistisch wäre.

© SZ vom 2.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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