Literatur:Die Brückenbauerin

Ki-Hyang Lee führt einen Verlag und hat "Die Vegetarierin" übersetzt

Von Jennifer Gaschler

Die Neubausiedlung in Riem ist literarischer als gedacht. Die schnurgerade Astrid-Lindgren-Straße führt zu einem Park, zuvor zweigt die Michael-Ende-Straße ab. In einem der modernen Einfamilienhäuser wohnt Ki-Hyang Lee, zu der die belletristische Adresse besonders gut passt, ist sie doch Übersetzerin und führt von zu Hause aus ihren eigenen Kinderbuchverlag. Die freundliche, unauffällige Koreanerin promovierte einst über "Fortunatus", ein neuhochdeutsches Volksbuch. Dessen Held steigt an die Spitze der Gesellschaft auf, sinkt aber ebenso schnell wieder ganz nach unten. "Diese Geschichte lehrt uns Bescheidenheit", sagt Lee, die selbst nicht viel Aufhebens um sich macht. Dabei könnte sie durchaus unbescheiden sein: Sie leitet nicht nur einen kleinen Verlag, sondern hat zudem gerade ein preisgekröntes Buch übersetzt: "Die Vegetarierin" von Han Kang, die daraus am Montag, 12. September, im bereits ausverkauften Literaturhaus lesen wird.

Seit 2014 hat Lee Kontakt zu der südkoreanischen Autorin, übersetzte zuerst eine Kurzgeschichte. 2007 erschien deren dreiteiliger Roman "Die Vegetarierin" bereits in Korea, dieses Jahr wurde das Werk, das laut der Jury durch "die Tiefe seiner Fremdartigkeit" begeistert, mit dem britischen Man Booker International Preis ausgezeichnet. Der Aufbau-Verlag fragte bei Lee an, ob sie nicht wieder übersetzen könne. "Die Form, die Han Kang findet, war aber nicht ganz leicht ins Deutsche zu übertragen", sagt sie. "Zum Beispiel werden zwei der drei Teile von namenlosen Männern erzählt. In einer zentralen Szene treffen die beiden aufeinander, da hätte ich gerne Namen eingefügt." Denn Koreanisch sei eine sehr verbenlastige Sprache, erklärt sie, Sätze kämen somit meist ohne Subjekt aus - im Gegensatz zum Deutschen. Die Autorin lehnte jedoch ab: Die Männer seien im Buch einfach nicht wichtig genug.

Literatur: Ki-Hyang Lee übersetzt seit 15 Jahren aus dem Koreanischen ins Deutsche.

Ki-Hyang Lee übersetzt seit 15 Jahren aus dem Koreanischen ins Deutsche.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Neben der Übersetzungstätigkeit ist Lees zweites Standbein der "Märchenwaldverlag". Wie die Koreanerin dazu kam, in München Kinderbücher zu veröffentlichen? Das sei sie schon so oft gefragt worden, sagt Lee und holt in großem Bogen aus. 1967 in Seoul geboren, studierte sie dort Germanistik und Pädagogik. Der Liebe zur deutschen Sprache wegen kam sie 1992 nach Deutschland, die Liebe zu einem deutschen Mann kam dazu. Sie blieb bis heute. Vor etwa 15 Jahren stieß sie auf die Ausschreibung einer koreanischen Stiftung, ein Übersetzer ins Deutsche wurde gesucht. Lee, die fast fließend Deutsch spricht, aber durch ihren Akzent und ihre zögernde Sprechweise etwas schüchtern wirkt, bewarb sich und gewann. Seit Jahren hatte sie da bereits Pläne für einen eigenen Verlag, musste diese aber nochmals verschieben, weil sie zweifache Mutter wurde. Letztendlich fand sie eine Verbindung zwischen beidem, gründete einen Verlag für Kinderbücher. Viele der Bücher, die sie herausgibt, haben wenig bis keinen Text. "Die Bilder bauen eine Brücke über alle Sprachen hinweg", beschreibt sie begeistert ihr Konzept. Ihre Autoren stammen aus Japan, Korea, China und Frankreich. Verkauft werden die Bücher bisher nur über ihre Website und Libri.

Seit damals übersetzt Lee regelmäßig, etwa ein Buch pro Jahr. Als sie damit begann, "waren Übersetzungen aus dem Koreanischen noch etwas ganz Besonderes, denn es gab kaum jemanden, der beide Sprachen gut genug konnte, um literarische Texte zu übersetzen", erinnert sie sich. Dazu müsse man außerdem gut Chinesisch können, da etwa 60 Prozent der koreanischen Sprache chinesische Lehnwörter seien."Koreanistik war ja damals noch kein Studiengang, ich war also eine Art Pionierin", sagt sie und klingt zum ersten Mal im Gespräch beinahe stolz. Viele Bücher fanden deshalb nur über den Umweg der englischen Übersetzung in den deutschen Buchhandel. Das hat sich inzwischen geändert, auch Lee selbst unterrichtet ihre Muttersprache an der TU.

Die Vegetarierin

Han Kang: Die Vegetarierin. Übersetzt von Ki-Hyang Lee Gebunden mit Schutzumschlag, 190 Seiten. Erschienen im Aufbau Verlag. 18,95 Euro; EBook 14,99 Euro.

Lee, die fast alle ihre Sätze mit einem fragenden "oder" beendet, liest Han Kangs bereits 2004 geschriebene Buch als Protest gegen Gewalt, symbolisiert durch das Fleisch, das die Protagonistin Yong-Hye plötzlich nicht mehr essen kann. Sie ist für Lee die klare siegreiche Heldin. Als Literaturwissenschaftlerin zieht sie Parallelen zur Gretchen-Tragödie. Am Ende wird die zwar hingerichtet, widersteht aber dem Bösen. "In dem Buch geht es um vier kranke Personen", sagt sie und zeigt den Umschlag der koreanischen Ausgabe. Darauf ist eine Aquarellzeichnung von vier Bäumen zu sehen, drei kräftige und ein karger, absterbender. "Aber die stehen alle auf demselben Boden. Sie sind durch ihre Wurzeln verbunden. Da ist ein Egoist, da ist einer, der nur nach Mittelmäßigkeit strebt, und da sind zwei Frauen, die ihren Weg im Leben nicht finden." Und so ist es für die Übersetzerin auch ein Buch, das die Leser dazu anhält, Fragen zu stellen: nach dem Weg zum Glück, nach dem Zusammenleben in einer Gesellschaft.

Lee, die sich in Rage geredet hat - was sie selbst zu erstaunen scheint - holt tief Luft, legt die Hände wieder in den Schoß. Sie selbst stamme aus einer sehr liberalen Familie, aber sie erkenne ihre Generation im Buch wieder. "Die Männer haben es schon sehr gern, wenn ihre Frau nur den Haushalt führt - und wir Frauen drängen uns in Korea nicht gerne in den Vordergrund". Die Ehe ihrer Eltern sei noch arrangiert gewesen, sie selbst und ihre sieben Geschwister wollten jedoch eine Liebesheirat. Aber das sei gar nicht so einfach, wie auch die Figur von Yong-Hyes Ehemann im Buch zeige. Die Männer in Korea arbeiteten übermäßig viel, hätten nur etwa zehn Urlaubstage im Jahr. "Koreaner fühlen sich aber auch schlecht, wenn sie nicht arbeiten", sagt Lee, das sei auch eine Art Krankheit, etwas, "wovon wir uns endlich befreien müssen". Im Moment ändere sich glücklicherweise viel, fügt sie hinzu.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman "Die Vegetarierin", übersetzt von Ki-Hyang Lee, stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Lee arbeitet zurzeit an der Übersetzung eines Buches über den Alltag in Nordkorea in den Neunzigerjahren, das ein anonymer Autor aus seinem Land schmuggeln ließ. "Das ist eigentlich noch viel spannender, als ,Die Vegetarierin'", sagt sie und freut sich, an dem Projekt beteiligt zu sein. Als die SZ-Fotografin kommt, nimmt sie sich jedoch wieder ganz zurück. Sie sei doch nicht die Autorin, nur die Übersetzerin. Und ob nicht auch ein Foto des Buches reiche?

Die Vegetarierin, Lesung mit Han Kang, Mo., 12. Sep., 20 Uhr, Literaturhaus, ausverkauft

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