Literatur:Das Glück und die Geier

Arundhati Roy

Erzählt von magischen Stunden ebenso wie von Gräueln in ihrer Heimat: Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy stellt in München ihren Roman "Das Ministerium des äußersten Glücks" vor.

(Foto: Mayank Austen Soof)

Mit einer Lesung der indischen Bestsellerautorin Arundhati Roy im Literaturhaus beginnt in München ein Bücherherbst mit jeder Menge Diskussionsstoff

Von Antje Weber

Gleich am Anfang ist alles da, das Helle und das Dunkle. Schon im ersten Satz des neuen Romans von Arundhati Roy klingt, soviel zum Hellen, jener besondere, soghafte Tonfall an, der bereits ihr Debüt zum Weltbestseller machte: "In der magischen Stunde, wenn die Sonne fort, das Licht noch da ist, lösen sich Heere fliegender Hunde von den Banyanbäumen auf dem alten Friedhof und lassen sich über der Stadt treiben wie Rauch." Doch nur wenige Sätze später nimmt die Schriftstellerin allen, die auf einen Rausch des magischen Realismus hoffen mochten, jede Illusion: Sie spricht über die verschwundenen Weißrückengeier, die früher auf den Friedhöfen über die Toten wachten: "Die Geier starben an Diclofenac-Vergiftung."

Weckrufe aus der Literatur? Das passt auch auf Uwe Timm oder Edouard Louis

Arundhati Roy ist eben beides: die suggestiv und weit ausgreifend fabulierende Erzählerin und die entschiedene Kritikerin jeder Menge entsetzlicher Missstände in ihrer indischen Heimat. Seit sie vor 20 Jahren weltberühmt wurde mit dem Roman "Der Gott der kleinen Dinge", der von einer im Kastensystem verbotenen Liebe erzählt, hat sie ihren Einfluss genutzt und immer wieder lautstark die Stimme erhoben. Und auch in ihrem lang erwarteten neuen Roman "Das Ministerium des äußersten Glücks" (S. Fischer) geht es folgerichtig nicht nur um einen Friedhof, auf dem die transsexuelle Hauptfigur Anjum ihren Frieden sucht, sondern um gravierende gesellschaftliche und politische Probleme.

Mit der Lesung von Arundhati Roy an diesem Mittwoch im Literaturhaus beginnt die literarische Saison in München mit einem starken Zeichen. Es ist nicht der einzige Weckruf aus der Literatur nach der Sommerpause: Uwe Timm liest tags darauf im Literaturhaus aus seinem neuen Roman "Ikarien" und wird sicherlich gewohnt fesselnd von den Hintergründen dieses Buches über den Eugeniker Alfred Ploetz erzählen, das großteils im Nachkriegs-München 1945 spielt. Noch einen Tag später provoziert die britische Feministin Laurie Penny ebendort mit einer "Bitch Doktrin"; in der Israelitischen Kultusgemeinde wiederum stellt an diesem Mittwoch Rafael Seligmann sein Buch "Deutsch Meschugge" vor (19 Uhr), während in den Kammerspielen am 26. September Didier Eribon und Edouard Louis garantiert die französische Politik zerlegen.

Nun aber wird erst einmal Arundhati Roy lesen, diskutieren, erklären. Und auch wenn sie ihr Buch allen "Ungetrösteten" widmet, so ist es doch ein Trost zu wissen, dass es Schriftsteller wie sie gibt, Bücher wie dieses, die unsere ganze disparate Welt zu erfassen suchen, das Helle wie das Dunkle.

Arundhati Roy, Lesung, Mi., 13. Sep., 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz, ausverkauft

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