Literatur:Bierbrüstige Kellnerinnen

Hallgrimur Helgason

Schmaler, blasierter Jüngling mit hoher Stirn: Der isländische Autor Hallgrímur Helgason, wie er sich selbst sieht.

(Foto: Hallgrímur Helgason)

In seinem Roman "Seekrank in München" zeichnet der isländische Autor Hallgrímur Helgason ein Bild der bayerischen Landeshauptstadt, das nicht sehr schmeichelhaft ausfällt. Im Literaturhaus hofft er nun auf Milde beim Publikum

Von Antje Weber

Der Titel des neuen Romans des Isländers Hallgrímur Helgason deutet bereits an, dass sich der Erzähler in München nicht ganz wohl fühlt: "Seekrank in München". Das liegt nicht nur am Bier, dessen Genuss Helgasons Alter Ego Jung bei einem Münchner Studienjahr 1981 nicht ganz vermeiden kann. Überhaupt mag der damals 22-Jährige die Stadt, die er auf Schritt und Tritt beobachtet, nicht wirklich gern, wie diese Ausschnitte verdeutlichen.

Jahr 1981: "Ihm war zwar ganz bewusst, dass die junge Generation zu allen Zeiten ihre eigene Gegenwart immer für unbedeutender als die Vergangenheit hielt, und dennoch war er überzeugt, dass in der gesamten Menschheitsgeschichte noch keiner in einer derart unwichtigen und unspannenden Jahreszahl festgesessen hatte und sein Leben unter ebenso kläglichen Voraussetzungen beginnen musste. Er hasste das Zeitalter, das ihm zugeteilt worden war."

Max-Joseph-Platz: "Er ging über den Max-Joseph-Platz, gegen den Strom, ein schmaler, blasierter Jüngling mit hoher Stirn, hohen Wangenknochen, in grauer Jacke, das blonde Haar streng zurückgekämmt wie ein grimmig blickender Hitlerjunge, der vierzig Jahre zu spät zum Appell antrat. Er musterte die Gesichter der ihm festlich herausgeputzt Entgegenkommenden in dunkelgrünen Jankern mit Goldknöpfen, Windstille im Haar und Programmheft in der Hand. Was für Schafe! Es war Sonntagabend in Bayern, und die Einheimischen kamen aus der Oper, einem großen Steinkasten an einem Ende des Platzes, der samt Säulenportikus alles gab, um eher wie ein strenggläubiger griechischer Tempel auszusehen als wie ein westlicher Vergnügungstempel. Warum eigentlich diese ewige Beweihräucherung der Vergangenheit? Sie schienen ihre eigene Gegenwart, ihr eigenes Leben zu hassen. Ich hätte nicht hierher kommen sollen. Ich hätte doch nach Berlin gehen sollen. Die Mauer ist keine altgriechische Fälschung mit unerträglichen Opern und Philosophengefasel. Dem jungen Mann ging auf, dass er in die Hauptstadt all dessen gekommen war, was er am meisten verabscheute. Oder sollte er besser sagen, in die Hauptstadt all dessen, was er nicht verstand?"

Der Dom: "Der Dom mit den Doppeltürmen, den er zuvor passiert hatte, war hoch wie die Felswände von Hornbjarg, aus roten Ziegelsteinen erbaut, massiv und recht geistlos bodenständig. Das Baujahr aber hatte ihn schockiert. Auf einer kleinen Plakette an der Außenmauer stand, dass die Kirche in den Jahren 1468 bis 88 erbaut worden war. Sein eigenes Volk hatte bis zum heutigen Tag noch kein derartiges Bauwerk zustande gebracht. Zur Bauzeit des Doms hausten die Isländer noch in provisorischen Unterkünften, die jeweils für einen Winter errichtet wurden, und so sollten sie noch vier weitere Jahrhunderte leben."

Kaufingerstraße: "Er ging die Kaufingerstraße entlang, die Fußgängerzone, die sich durch die Innenstadt wand und so ausgesprochen westdeutsch aussah: behäbig, aber behaglich, langweilig und lebendig zu gleich, kribbelnd vor kapitalistischer Kauflust und apathisch vor Nachkriegseinfallslosigkeit, bleischwere Häuser wie Felswände zu beiden Seiten."

Wirtshaus: "Er fühlte sich immer ganz wohl in diesen ländlichen Bayernschenken, in denen Schweinskerle vor Schweinshaxen saßen und bierbrüstige Frauen kellnerten. Selbstverständlich gab es zu allen Gerichten Sauerkraut, und man musste achtgeben, keine Knödel als Beilage zu bekommen, diese speziellen bayerischen Kartoffeln schmeckten wie zu lange gekochte Wollknäuel."

Deutsche Klofrau: "Er öffnete die Tür und blickte in die Augen der Klosetthüterin, steingraue, kühle Löcher, von fettigen Haaren und einem rotfleckigen Doppelkinn umgeben, die ausstrahlten, was er für herablassende Verachtung großer Nationen hielt, was aber wahrscheinlich nur Nachkriegsverbitterung war. Sie hielt die Stricknadeln still, bis er fünfzig Pfennig in den Korb gelegt hatte. Wozu gab es diese Toilettenfrauen? Die Stadt schien voll von diesen reizbaren älteren Frauen zu sein, die das Verdauungsgeschehen anderer bewachten. War auch das ein Teil der Vergangenheitsbewältigung?"

U-Bahn: "Der junge Mann war in London schon einmal U-Bahn gefahren. Doch im Vergleich zu deren uralten und stinkenden ,Tuben' waren die Waggons hier groß, kastenförmig und geräumig. Die U-Bahnhöfe waren ebenfalls größer, in kräftigen Farben gefliest und trotzdem ohne jegliches Flair. Das Design war praktisch und gut gemeint: Wir wollen viel Platz und alles in hellen Farben! - das Ergebnis fiel gleichwohl deprimierend aus. Unter dem Marienplatz fühlte sich der Fahrgast, als würde er in einer Brotzeitdose aus orangerotem Plastik stecken."

Straßenleben: "Die Menschen hier schritten irgendwie so gemessen durch die Straßen. Überhaupt nicht, als wären sie irgendwo hin unterwegs. Die ganze Stadt schien nirgendwo hinzuwollen, außer in die nächste Bierwirtschaft. Schritte hallten zwischen mittelalterlichen Steinmauern wieder. Hier war alles fest gefügt und festgefahren, unveränderlich und drückend geschichtsträchtig. Aber was sollte man von einer Stadt auch anderes erwarten, die nach Mönchen benannt war."

Leopoldstraße: "Frühlingshafte junge Frauen kamen ihm entgegen, die er mit den Augen staubsaugte, aber nicht einmal wurde sein Blick erwidert. (. . .) Manchmal fegten kleine Autos laut die Straße entlang, Porsches und BMWs. Hier war schließlich das Mutterland der Sportflitzer, und von den Münchnern waren offensichtlich viele von ihrem Leben so angetan, dass sie darin ohne Pause von einem Höhepunkt zum nächsten rasen wollten. Es sei denn, dieses Rasen bedeutete die große Flucht vor einer zu nahen Vergangenheit."

Jahr 2015: München war für Helgason immer seine "City of Pain", und er glaubt, dass er damals im Winter 1981 tatsächlich krank gewesen sei: "Ich wusste einfach nicht, wer ich war. Ich war der unerkannte Künstler, und das zu sein, bedeutet sehr viel Leiden", erzählt er im Literaturhaus-Magazin. Helgason ist klar, dass er dafür von den Einheimischen nicht nur geliebt werden wird: "Ich hoffe sehr, dass sie mir wegen meiner Darstellung Münchens nicht böse sein werden!" Nun, das wird sich sehr bald herausstellen.

Hallgrímur Helgason, Mittwoch, 11. November, 20 Uhr, Literaturhaus, Salvatorplatz 1

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