Literatur aus der Schweiz:Sojakeks mit Schopenhauer

Literatur aus der Schweiz: Jens Steiner: Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit. Dörlemann Verlag, Zürich 2015. 240 Seiten, 20 Euro. E-Book 14,99 Euro.

Jens Steiner: Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit. Dörlemann Verlag, Zürich 2015. 240 Seiten, 20 Euro. E-Book 14,99 Euro.

(Foto: verlag)

Voller Merkwürdigkeiten: Jens Steiners neuer Roman "Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit" entwirft ein postmodernes Spiegelkabinett, in das man sich nicht unbedingt gerne verirrt.

Von Tobias Sedlmaier

Vielleicht lässt sich Jens Steiners Roman "Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit" ja doch als Porträt einer Generation lesen. Obwohl es vordergründig um einen eher eigenbrötlerischen Philosophiestudenten geht. Die Gegenwart erscheint ihm "schäbig" und "an allen Ecken und Enden etwas abgewetzt", aber immerhin hat dieser Paul Kübler sich bestmöglich in den Kulissen des Alltags eingerichtet.

Sein träumerisch-tristes Dasein wird mit Trivialliteratur, Sojakeksen, Vergangenheitsfantasien von Lotta, der Ex im roten Trenchcoat, und Philosophiererei mit dem einzigen Freund Magnus voll ausgefüllt. Dieser, ein ungelenk verstolperter "Quasimodo" und politisch interessierter Kommilitone, stiftet ihn eines Tages dazu an, einen Gastvortrag des Medienmoguls Henri Kudelka zu sabotieren. Anstatt wegweisender Gedanken zur Zukunft der Printmedien gibt es nun via Tonband die wahren, kommerziellen Absichten des vermeintlichen Wohltäters zu hören. Von da an ist das Leben im Leerlauf vorbei: Kudelka wird entführt, Kübler als Täter verdächtigt und europaweit gesucht. Dazu kommen noch eine Femme fatale, die undurchschaubare Dolores, und der seltsam farblose Nachbar Klöppel, in dessen Wohnung sich Paul Kübler plötzlich wiederfindet und auf dessen Spuren er sich nach Südfrankreich begibt.

Der Schweizer Autor Jens Steiner hat in den vergangenen vier Jahren drei Romane veröffentlicht. Darunter der von der Kritik gelobte Roman "Hasenleben" und die 2013 mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnete Dorfgeschichte "Carambole". Gemeinsamkeiten zu den Vorgängern, insbesondere zum Debüt, weist auch "Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit" auf; etwa die Vaterlosigkeit des Protagonisten. Die Erzählperspektive wird diesmal zwar nicht gewechselt, dafür springt die Handlung vom Hotelzimmerversteck zurück an die Uni und wieder vor, zu den Stationen von Küblers Flucht. Dabei treten diverse surreale Gestalten wahlweise als Hindernis oder Helfer auf: Ein rätselstellender Türwächter, Pudelbesitzer, die ihre Tiere allesamt Butz Atman nennen, und manchmal spaziert der selbsteigene Homunkulus, ein im Gehirn hausender, die Welt vermittelnder Gnom, durchs Geschehen.

Solche Szenen sind zu Beginn durchaus noch spaßig, die Handlung verflacht aber zunehmend und gleitet in einen grotesken Wachtraum ab. Als hätten sich Loriot, Haruki Murakami und Kafka im Text eingefunden und ein jeder seine eigene Spur hinterlassen, nur dass es irgendwann der Merkwürdigkeiten zu viele sind. Und so manches bleibt unerzählt stehen. Aus der Gewandtheit wird eine bloße Masche, hinter jeder Szene klappt eine weitere bereits bekannte auf.

Loriot, Kafka und Murakami geben sich in diesem surrealen Roman ein Stelldichein

Die Sprache, die Steiner für seine Mischung aus Thriller, Entwicklungsroman und Satire findet, ist präzise, originell und amüsant - allerdings ist der leichtfüßige Ton angesichts des durchaus ernsten Sujets nicht immer angemessen trittfest. Denn letztlich kreist der Text doch um Ernsteres, als die stilistische Lockerheit vermuten lässt. "Wir gehören zu einer Generation von Hasenfüßen", bekennt der Erzähler einmal und benennt damit den Anti-Idealismus gegenwärtiger westeuropäischer Mittzwanziger. Eine Generation, die geprägt ist von Konfliktscheu, Freiheitsangst und dem Rückzug in die passiv-privaten Eskapismusräume des Internets. Auch die Figur des Paul Kübler kann sich dem nicht vollständig entziehen, wird sie doch auf die Reise geschickt, ohne selbst eine Veränderung initiieren zu können. Dabei schwingt bei Steiner durchaus die Sehnsucht nach einem Ausbruch aus der digitalen Apathie, nach einem gänzlich anlogen Abenteuer mit. Dementsprechend ist der einzige Vertreter der digitalen Medienkultur, Kudelka, der Buhmann. Und als dem Protagonisten einmal ein Smartphone zufällig in die Hände fällt, befindet er es recht schnell für nutzlos und wirft es weg.

Doch diese kulturkritischen Aspekte flackern nur gelegentlich auf, ähnlich wie Schopenhauers Gedankenwelt. Ein Zitat des Philosophen stellt Steiner dem Roman voran. Letztendlich aber kommt "Junger Mann mit unauffälliger Vergangenheit" über ein postmodern-unterhaltliches Kaleidoskop nicht hinaus.

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